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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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ob ich dann sagen kann: »Damals musste ich mich verstecken, weil ich Augenzeuge eines Verbrechens war. Es war aber nicht unbedingt nur schlecht, als ich Joe war«? Ausgeschlossen. Mein jetziges Leben als Joe wird nie etwas sein, das mir gehört, worüber ich sprechen kann.
    »Also, Joe«, sagt Ellie. »Du musst die Vergangenheit hinter dir lassen. Vergiss sie. Denk positiv und konzentriere dich auf das, was du jetzt erreichen kannst. Du bist nämlich sehr talentiert. Du kannst es bis an die Spitze schaffen.«
    Ich zucke die Achseln. »Ich kann’s ja mal versuchen.« Schön wär’s, aber die Vergangenheit lässt mich nicht in Frieden. Ein paar Leute kommen in das Café, und ich merke, wie ich wieder ganz unruhig werde und sie mir genau ansehe.
    Ellie pocht auf den Tisch. »Das genügt nicht. Einfach dasitzen, die Achseln zucken und einen auf cool machen. Vergeude ich mit dir nur meine Zeit? Ich verlange, dass du ein bisschen Einsatz zeigst! Herrje, es ist total nervig zu sehen, wie jemand mit so viel Talent weniger als hundert Prozent gibt.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Leute schauen schon her. »Ich werde mich anstrengen.«
    |69| »Na hoffentlich.« Wenn sie so drauf ist, kann man direkt ein bisschen Angst vor ihr kriegen. Trotzdem stört es mich nicht, von ihr angemacht zu werden, weil sie so umwerfend gut aussieht.
    Sie schreibt mir einen Ernährungsplan auf. Ich soll mich verpflichten, eine Woche durchzuhalten, und ihr dann sagen, wie es mir damit geht. Sie fragt, ob ich mich mit Musik über meinen iPod ablenken kann   – ja, eine Superidee. Sie erklärt mir, dass ich auf dem Laufband nicht einfach drauflos rennen, sondern ein Intervalltraining absolvieren soll, bei dem ich mich konzentrieren und die Eingaben immer wieder variieren muss. »Und du musst mir versprechen, die Finger von den Zigaretten zu lassen«, sagt sie zum Schluss, »sonst komm ich bei euch vorbei und rede mit deiner Mum.«
    »Also ehrlich, Ellie!«
    »Du weißt, dass ich das mache.«
    Stimmt. Besser, ich lasse die Finger davon.
    Wir verlassen das Café und vereinbaren für morgen ein Training. Vor dem Café muss sie vorsichtig um ein Schlagloch herumkurven, und ich weiß nicht, ob ich ihr hätte anbieten sollen, sie nach Hause zu schieben, oder ob sie mich dann für aufdringlich gehalten hätte. Ich habe keine Ahnung, wie man mit Rollstuhlfahrern umgeht. Meistens tue ich einfach so, als wäre der Rollstuhl nicht da.
    Es muss doch schlimm für sie sein, nie einfach mal normal sein zu können. Und wenn man an den Rollstuhl gefesselt ist, muss es einen doch wütend machen, wenn |70| man überall Nichtbehinderte sieht, die trotzdem nichts aus sich machen. Mich zum Beispiel. Ich nehme mir vor, mich für Ellie richtig anzustrengen.
    Dann renne ich den ganzen Weg bis nach Hause, weil ich da sein will, ehe es dunkel wird.
    Als ich die Haustür öffne, spüre ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Es riecht nicht wie sonst nach einer Mischung aus Staub und Zigaretten. Es riecht stärker   … verqualmter. Scheiße, da brennt was!
    Ich reiße die Küchentür auf   – nichts. Dann das Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, der Ton ist abgeschaltet. Und da liegt Mum, lang ausgestreckt auf dem Sofa, mit dem Gesicht nach unten, rührt sich nicht, und überall ist dichter schwarzer Qualm.

|71| Kapitel 7
Balamory
    Ich bin mit einem Satz bei ihr, packe sie unter den Achseln und ziehe sie zur Haustür. Sie lebt noch, kommt allmählich zu sich und fängt an der frischen Luft an zu husten und zu würgen. Ich setze sie hin, schnappe mir ein Handtuch von dem Haufen Schmutzwäsche, der sich schon seit ungefähr einer Woche in der Küche türmt, und renne wieder ins Wohnzimmer.
    Brandbombe   … Brandstiftung   … Ich gerate voll in Panik, trotzdem kriege ich mit, dass das hier etwas ganz anderes ist. Nirgendwo ist ein richtiges Feuer zu sehen, keine offenen Flammen. Das Sofa schwelt vor sich hin, der Rauch kommt aus einem schwarz geränderten Loch im beigen Stoff. Ich ersticke den Rauch mit dem Handtuch, dann schaue ich mich um. Die ganze Zeit höre ich Mum draußen auf der Treppe husten.
    Ist sie überfallen worden? Hat jemand sie bewusstlos geschlagen und das Sofa angezündet? Ich kann aber keine Anzeichen eines Kampfes entdecken, es ist nichts zerbrochen oder so.
    Auf dem braunen Teppich liegen Flaschen. Mum war endlich einkaufen, hat sich unten am Kiosk ein Sixpack |72| Alkopops geholt. Wie’s aussieht, hat sie alle hintereinander ausgetrunken.

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