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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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entdeckt, dass die Kontaktlinsen weg sind, aber er weiß nicht genau, was anders ist. Wahrscheinlich hat er sich nie richtig gemerkt, welche Augenfarbe ich habe. Wozu auch? Aber was soll ich jetzt sagen?
    »Ich muss Kontaktlinsen tragen und soll damit nicht ins Wasser. Jetzt sind sie weg. Vielleicht sehe ich deshalb anders aus.«
    »Ach deshalb hast du dich so gegen das Tauchen gewehrt! Du hättest einfach eine Entschuldigung von deiner Mutter mitbringen sollen. Trotzdem   … du hast einen anderen Schüler in der Schwimmhalle geschlagen und verletzt. Ich muss deine Zugangskarte einziehen und weiß nicht, ob ich dir weiterhin das Sondertraining mit Ellie gestatten kann.«
    Jetzt bin ich echt wütend. Das ist so was von unfair. »Aber er ist doch an allem schuld! Er hat mich zuerst angegriffen! Ich musste mich verteidigen   … wenn man sich nicht wehrt, kann man sehr schnell tot sein!«
    Ich bin so kurz vor dem Heulen, dass ich sofort die Klappe halten muss. Sofort, sonst fange ich an, wie ein Fünfjähriger loszuplärren   … oh nein   … ich kann die Tränen |171| nicht mehr zurückhalten und muss mir fest in den Handrücken beißen, damit ich nicht laut losschluchze.
    Mr Henderson schiebt mir eine Schachtel Papiertaschentücher rüber. Er klingt jetzt nicht mehr so verärgert, eher enttäuscht. »Joe, du weißt, dass wir dich für sehr talentiert halten und uns sehr über deine Fortschritte freuen. Ich werde dem Schulleiter viel Gutes über dich berichten, allerdings muss ich ihn auch über diesen unglücklichen Zwischenfall ins Bild setzen.«
    Jetzt, wo ich einmal angefangen habe zu heulen, kann ich nicht mehr aufhören. Meine Rippen stechen höllisch und ich sehe andauernd Grans Gesicht vor mir, total zugeschwollen und aufgeplatzt und blutig. Außerdem macht mich die Vorstellung, dass ich kein Training und keine Ellie mehr haben soll, total fertig.
    »Soll ich bei dir zu Hause anrufen, damit du abgeholt wirst, Joe? Wer wohnt denn bei dir? Jemand von deinen Großeltern?«
    »Nein   … meine Gran ist im Krankenhaus.« Meine Stimme dröhnt mir in den Ohren. »Deswegen ist meine Mum zu ihr gefahren. Aber ich darf sie nicht sehen.«
    Es klingelt, die Mittagspause ist zu Ende. Mr Henderson seufzt: »Ich muss jetzt die Siebte zum Schlagballtraining abholen. Bleib einfach hier und beruhige dich, mit etwas Glück sieht die Welt am Freitag schon wieder anders aus. Ich sorge dafür, dass dich hier niemand stört. Und wenn du so weit bist, gehst du einfach nach Hause, ja?« Er greift in die Tasche und zieht ein Karamellbonbon heraus. »Probier’s mal damit. Wirkt manchmal Wunder.«
    |172| Er lässt mich in seinem Büro sitzen und ich zwinge mich zu tiefen, gleichmäßigen Atemzügen und höre auf zu heulen. Auf dem Bonbon rumzukauen, hilft tatsächlich. Schließlich wische ich mir Rotz und Tränen ab, und als ich fertig bin, sind die Taschentücher alle.
    Ich muss hier raus, bevor der Unterricht vorbei ist, sonst wuseln Hunderte von Schülern draußen rum. Ich muss raus, ehe mich jemand sieht und entdeckt, dass meine Augen grün sind, meine Nase rot ist und dass ich mich vom obercoolen Joe in die Heulsuse Ty verwandelt habe.

|173| Kapitel 14
Das Skelett der Seele
    Niemand sieht mich, wie ich über die Spielfelder sprinte und mich durch den Seiteneingang verdrücke. Ich laufe weiter, den ganzen Hang runter, bis zur Hauptstraße. Es wäre am vernünftigsten, gleich nach Hause zu gehen, meine Ersatzlinsen zu suchen und Maureen zu erzählen, was passiert ist. Ich bin aber nicht vernünftig. Ich überquere die Straße und marschiere in Richtung Ellies Haus.
    Ich muss es ihr erklären. Vielleicht kann sie den Direktor überreden, dass ich wenigstens weitertrainieren darf. Sie soll nicht denken, mir wäre das Training mit ihr egal. Ich habe Schiss, dass sie mich wegen meiner mangelnden Zielstrebigkeit, meines fehlenden Durchhaltevermögens nicht mehr leiden mag.
    Ich klingle und Ellies Mutter macht auf. »Hallo, Joe«, begrüßt sie mich erstaunt. »Hast du heute keine Schule?«
    Ich schüttele den Kopf. »Ist Ellie da?«
    »Tut mir leid, mein Lieber, Ellie bereitet sich in einem Trainingslager auf die Paralympics vor. Mein Mann hat sie und Magda, die neue Helferin, die wir gerade ausprobieren, hingebracht. Sie kommt erst Sonntag wieder. Ich dachte, du wüsstest, dass sie weg ist.«
    |174| Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich hatte einfach nicht mehr dran gedacht. Vor lauter Enttäuschung bin ich ganz benommen. »Dann

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