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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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gehe ins Wohnzimmer und höre die Nachricht ab. Mum klingt irgendwie matt und ängstlich. »Hallo, Ty, ich kann nicht richtig reden, aber Gran ist so weit stabil, wir sind alle hier bei ihr. Ich richte ihr alles Liebe von dir aus, hoffe, dir geht’s gut, muss jetzt Schluss machen, pass gut auf dich auf, Schatz.«
    |184| Vielleicht irre ich mich. Vielleicht hat ihr Doug ja erlaubt, mich anzurufen. Aber warum sollte er? Damit verrät sie doch, wo wir uns aufhalten, oder? Keine Anrufe, hat Doug immer gesagt. Ich zögere kurz, und dann, als Maureen »Essen ist fertig«, ruft, fasse ich einen Entschluss.
    Ich setze mich an den Tisch und halte ihr mein Handy hin. »Maureen, meine Mum hat mir auf die Mailbox gesprochen. Ich glaube, das war vielleicht keine so gute Idee.«
    Sie nimmt das Handy und hört sich die Nachricht an. Dann schüttelt sie den Kopf. »Ich will dir nichts vormachen, Ty. Ich glaube, deine Mutter hat dich angerufen, ohne Doug um Erlaubnis zu fragen. Ist ja auch verständlich, die Ärmste steht dermaßen unter Stress. Trotzdem war das nicht in Ordnung. Ich muss ihm Bescheid sagen.«
    Ich nicke, auch wenn es mir vorkommt, als hätte ich meine Mum verraten. »Iss auf«, sagt Maureen. »Ich kann mir vorstellen, dass das alles nicht leicht für euch ist.«
    »Isses auch nicht. Kennen Sie eigentlich viele Familien im Zeugenschutzprogramm?«
    »Einige. Ich werde wie bei euch hinzugezogen, um das Aussehen der Leute zu verändern. Trotzdem seid ihr beide ein ungewöhnlicher Fall, denn die meisten Leute, mit denen wir zu tun haben, sind selbst Kriminelle. Sie hoffen, einer Gefängnisstrafe zu entgehen, indem sie uns Informationen über ihre Mittäter geben. Ein ziemliches Pack, wenn du mich fragst, und mir fällt es schwer, jemandem zu helfen, für den ich kaum Achtung empfinde. |185| Ihr zwei seid da anders, und es tut mir wirklich leid, dass ihr es so schwer habt.«
    »So schwer ist es nicht. Stellenweise ist es sogar richtig gut.«
    »Ich hoffe, dass es so bleibt«, sagt sie, aber ich sehe, dass sie bloß nett sein will.
    Wir schauen eine dumme Reality-Sendung an, in der zwei Frauen ihre Familien tauschen und die eine in der Wohnung der anderen wohnen muss. Nach ungefähr zwei Minuten drehen beide durch, kreischen rum, schmollen und drohen damit, dass sie wieder abhauen. Beim Zusehen komme ich mir von Minute zu Minute älter vor, wie ein uralter Opa, der schon alles erlebt und gesehen hat und für den diese Erwachsenen die reinsten Kinder sind. Alte Leute sind bestimmt wahnsinnig einsam, wenn alle ihre gleichaltrigen Freunde wegsterben.
    Ich nehme eine Schmerztablette und gehe ins Bett. Meine Rippen tun immer noch sauweh und mein Kopf ist voller Gewalt   – der echten zwischen mir und Carl und der viel, viel schlimmeren, die ich mir vorstelle, wenn ich an Gran denke. Was ich aber am allerwenigsten ertrage, ist der Gedanke daran, wie ich Claires Handgelenke immer fester zusammengedrückt habe, obwohl ich wusste, dass das gar nicht nötig war, und an ihren Blick.
    Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Gedanken zu verjagen. Ich nehme mein Handy und schicke eine SMS: OK um 4.   Dann drehe ich mich auf die Seite, die weniger wehtut, mache die Augen zu und fange an mir auszumalen   – und zwar in den fantasievollsten Einzelheiten   –, |186| was Ashley und ich morgen alles miteinander anstellen werden.
    Aber sogar das funktioniert diesmal nicht. Ich bin zwar entspannt, aber die Angst werde ich trotzdem nicht los. Ich habe Angst vor den gesichtslosen Typen, die mir dasselbe antun wollen wie Gran. Ich habe eine Scheißangst, dass Mums Anruf sie gradewegs hierherführt.
    Aber am allermeisten Angst macht mir, was hier langsam aus mir wird.

|187| Kapitel 15
Aus Gewohnheit
    Ashley ist sauer auf mich. Das sehe ich schon, als sie den kleinen Pfad zur Bank auf mich zukommt. Ich sehe es an ihrem mürrischen Gesicht, ihrem Gang und ihrem Schmollmund.
    Das ist schade, denn sie sieht
umwerfend
aus. Sie trägt die Sommeruniform, nämlich einen superkurzen Rock und ein enges weißes Polohemd, durch das ein lila BH schimmert. Mir ist undeutlich bewusst, dass meine Tanten nicht besonders beeindruckt wären und gemeine Ausdrücke wie »billig« und »Nutte« von sich geben würden, aber das ist mir egal, denn ich finde Ashley echt sexy, unglaublich attraktiv.
    »Hallo, Ash«, sage ich, als sie sich neben mich setzt. »Was geht?« Ich würde die Unterhaltung gern auf das Nötigste reduzieren, damit ich ihre neue Aufmachung so

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