Mehr als nur ein Zeuge
gründlich wie möglich erforschen kann. Außerdem will ich es nicht so weit kommen lassen, dass ich sie womöglich noch weniger mag als jetzt schon und sie dann fallen lassen muss. Das würde ich lieber noch aufschieben, denn momentan befinden wir uns auf einem ähnlichen Level.
|188| »Ich hab gestern oder spätestens heute auf eine SMS oder einen Anruf von dir gewartet. Warum hast du mir nichts von der ganzen Geschichte erzählt?«, erwidert Ashley verschnupft. »Alle haben nach dir gefragt, ich bin mir vorgekommen wie der letzte Trottel, weil ich niemandem was sagen konnte. Du hättest mich nach der Schule abholen können. Und dann hast du bloß ›OK um 4‹ geschrieben, keine Küsse und gar nichts.«
Blablablabla. Laut und nervig, wie ich es mir schon gedacht habe. Ich, ich, ich, ich. Außerdem scheint es ihr Spaß zu machen, andere herumzukommandieren. Wozu bin ich eigentlich hier? »Dann küsse ich dich eben jetzt«, sage ich und beuge mich gleich zu ihr rüber.
Aber das will sie auch wieder nicht. »Wieso hast du mich gestern nicht angerufen? Meine Mum wusste besser Bescheid über alles als ich.«
»Weil ich stundenlang im Krankenhaus war, Ash, guck doch mal …« Ich ziehe mein T-Shirt hoch, um ihr meine Blutergüsse zu zeigen, die fast dieselbe Farbe haben wie ihre Unterwäsche. »Dieses brutale Arschloch Carl hat mir zwei Rippen gebrochen.«
Sie schlägt die Hand vor den Mund. »Oh Gott! Das tut bestimmt höllisch weh.«
»Nur du kannst meinen Schmerz lindern«, lüge ich, denn heute erledigen die Schmerztabletten ihre Arbeit richtig gut, ich konnte sogar am Vormittag zwei Stunden ohne Probleme laufen gehen.
»Wenn das so ist, verzeihe ich dir noch mal.« Sie rutscht näher, um mir die Art Mund-zu-Mund-Beatmung zu verpassen, |189| die Carl gestern in der Schwimmhalle beinahe nötig gehabt hätte.
Wir sitzen ungefähr eine Stunde da, und ich finde heraus, dass mich Ashley tatsächlich weitergehen lässt, als Arron mit Shannon Travis je gekommen ist, obwohl – was mich ein bisschen erleichtert – es auch hier Grenzen zu geben scheint. Aber wo sie eben noch meine Hand weggeschoben hat, legt sie sie im nächsten Augenblick wieder an dieselbe Stelle, was ein bisschen verwirrend ist.
Dann hören wir etwas. Ein Rascheln. Was zum … Wir erstarren. Nichts. »Das war nichts«, murmle ich und meine Hand kriecht ihren Oberschenkel hinauf. Dann hört man jemanden unterdrückt lachen, ein Licht blitzt auf und – verdammte Scheiße! – jemand hat uns mit seinem Handy fotografiert!
»Schlampe!«, johlt eine Stimme, »Du Nutte! Warte nur, bis die anderen Jungs diese …«
Es ist Jordan, Carls Kumpel. Und Louis ist auch dabei. Ashley springt auf wie angestochen. »Ihr Schweine!«, ruft sie und stürzt sich auf die beiden. »Löscht das sofort wieder!«
Sie lachen sie aus, und mich auch, und sie nutzen die Gelegenheit, sie ein bisschen zu betatschen. In mir schäumt eiskalte Wut. Das geht jetzt eindeutig zu weit. Es ist ein echter Notfall, also greife ich in die Hosentasche und ziehe das Messer heraus, das ich in der Küche eingesteckt habe, bevor ich zu meiner Verabredung mit Ashley losgegangen bin.
»Handy her!«, sage ich mit meiner tiefsten Gangsta-Stimme |190| und wickle das Messer langsam aus dem Taschentuch aus.
Die beiden sind wie erstarrt. Sie wechseln verunsicherte Blicke. »Handy her!«, wiederhole ich und lasse die Stimme drohend anschwellen. »Oder wollt ihr, dass was passiert?«
»Mein Gott, Joe«, sagt Ashley.
»Ihr kennt mich. Ich kann zuschlagen und ich kann laufen. Und das Messer hier seht ihr auch.« Ich fuchtele damit herum. »Also: Her – mit – dem – verschissenen – Handy!«
Jordan lässt sein Handy auf die Erde fallen. Ich schaue Louis an. »Du auch.«
»Aber ich hab gar nicht fotografiert.«
»Handy her! Weil du kein Respekt zeigst, für mich nich und die Braut hier auch nich, dafür wirste bezahlen, du Arsch.«
Er lässt sein Handy ebenfalls fallen, dann sage ich: »Heb sie auf, Ash.« Sie nimmt beide Handys an sich, und ich sehe, dass sie weint.
»Lösch alles, was drauf ist, dann gibstes ihnen wieder.«
Sie macht es und ich sage: »Na bestens. Und jetzt entschuldigt ihr Flachwichser euch bei der Lady.«
Sie scharren mit den Füßen. »Tschuldigung, Ashley. Tut uns leid.«
»Haut ab.«
Sie stolpern davon und schauen sich alle zwei Sekunden um. Ashley und ich folgen ihnen – ich will sie nicht |191| aus den Augen lassen, damit
Weitere Kostenlose Bücher