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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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abstoßend. Mir fällt wieder ein, wie unprofessionell sie ist, und halte ihrem Blick trotzig stand. Ob sie über mich und Ashley Bescheid weiß?
    Wir warten zehn Minuten, dann geht die Tür zum Büro des Schulleiters auf und Carl und seine Eltern kommen heraus. Carls Nase ist immer noch geschwollen, er hat zwei dicke Veilchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schulleiter, nachdem er das gesehen hat, mich noch behalten will. Zu meiner Verwunderung kommen die drei zu uns rüber, aber nur, um sich hinzusetzen   – anscheinend sind sie mit dem Direktor noch nicht ganz fertig. Wir ignorieren uns gegenseitig, was gar nicht so leicht ist. Ich starre an die Decke und lasse in Gedanken noch mal meinen 150 0-Meter -Triumph ablaufen.
    »Mr Naylor erwartet Sie«, sagt Ashleys Mutter dann, und wir gehen rein. Eigentlich bin ich ganz froh, dass Mum nicht hier ist. Maureen ist viel ruhiger, als sie es gewesen wäre.
    Mr Naylor sitzt am Schreibtisch und wir nehmen davor Platz. Er ist ziemlich alt, grauhaarig, mit Bart und Brille, und ich weiß von den Morgenversammlungen, dass er total auf Ordnung und Disziplin abfährt.
    »Mrs Andrews«, fängt er an und wird sofort von Maureen unterbrochen.
    »Entschuldigung, aber ich bin nicht die Mutter des |195| Jungen, Mr Naylor. Seine Mutter musste kurzfristig verreisen, deshalb kümmere ich mich so lange um ihn. Die Familie macht gerade eine schlimme Krise durch. Joes Großmutter ist Opfer einer außergewöhnlich brutalen Gewalttat geworden«   – mir dreht sich der Magen um   – »und sie ist immer noch nicht wieder bei Bewusstsein. Was Joes Verhalten natürlich keineswegs entschuldigt, aber vielleicht doch ein wenig erklärt.«
    Mr Naylor und ich sind über diese Eröffnungsrede beide ein bisschen verdutzt. »Aha«, sagt er. »Also, das tut mir natürlich leid, Mrs   … äh   …«
    »Maureen O’Reilly.« Maureen streckt ihm die Hand hin. »Eine Freundin der Familie.«
    »Soso. Nun ja. Schön.« Mr Naylor versucht, nicht allzu neugierig auszusehen. »Nun, ich würde gern Joes Darstellung von den Ereignissen in der Schwimmhalle hören.«
    Ich schildere ihm kurz und knapp, was passiert ist.
    Mr Naylor greift nach einem Blatt Papier. »Und Carl hat dabei einen Nasenbeinbruch, eine Gehirnerschütterung und schwere Prellungen erlitten.«
    »Stimmt«, sagt Maureen, »aber was Ihnen Joe nicht erzählt hat, ist, dass Carl ihm am gleichen Vormittag zwei Rippen gebrochen hat. Zeig’s ihm bitte, Joe.«
    Ich schäle mich aus meinen Schulklamotten und zeige Mr Naylor meine Blutergüsse. Es ist zwar irgendwie peinlich, sich vor dem Direktor auszuziehen, aber wahrscheinlich ist es die Sache wert.
    »Wie ist das passiert?«, fragt Mr Naylor und schielt über den Brillenrand.
    |196| »Ich bin im Umkleideraum über eine Sporttasche gefallen und Carl hat mich getreten. Erst habe ich gar nicht gemerkt, dass etwas gebrochen war.«
    »Deshalb bin ich eigentlich der Meinung, dass Carl genauso bestraft werden müsste wie Joe«, wirft Maureen ein.
    »Carls Eltern haben davon gesprochen, Anzeige zu erstatten«, erwidert Mr Naylor.
    »Das wäre sehr dumm von ihnen, es sei denn, sie wollen, dass Joes Mutter ebenfalls Anzeige erstattet«, erwidert Maureen wie aus der Pistole geschossen.
    »Was sind denn nun die eigentlichen Gründe für deinen Streit mit Carl, Joe? Du bist noch gar nicht so lange an unserer Schule und schon hast du dich in eine immer weiter eskalierende Auseinandersetzung verwickelt. Das enttäuscht mich offen gestanden doch sehr.«
    »Ich   … na ja   … Mr Henderson hat mir eine Zutrittskarte zur Fitness-Suite gegeben, damit ich alle Einrichtungen auch außerhalb der Schulstunden benutzen kann. Carl war stinksauer deswegen, weil er findet, die Fußballmannschaft sollte auch solche Karten bekommen. Ich glaube, das ist der Grund.«
    »Hast du irgendetwas getan, das eure Meinungsverschiedenheit verschärft hat?«
    »Nein. Mir ist es egal, ob die Fußballer auch Zutrittskarten bekommen.«
    »Und du hast in den letzten Tagen auch nichts unternommen, um die allgemeine Stimmung in der Schule anzuheizen? Diese Unterschriftensammlung beispielsweise   …« |197| Er zeigt auf einen Stoß Papier. »Und die Proteste, die stattgefunden haben?«
    »Davon weiß ich nichts«, sage ich und Maureen schaltet sich wieder ein.
    »Mr Naylor, in den letzten Tagen musste ich mitansehen, wie dieser aufgeweckte, sportliche, gesellige Junge buchstäblich zum Einsiedler geworden ist, den ganzen Tag nur

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