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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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aber ich klopfe nicht mal. Ich mache die Tür auf und bin einen Augenblick total verdutzt. Die Vorhänge sind zugezogen, es ist stockdunkel.
    Bis sich meine Augen daran gewöhnt haben, bleibe ich einfach stehen. Claire ist wahrscheinlich gar nicht hier, denn es rührt sich nirgendwo etwas. Aber dann entdecke ich sie doch. Sie sitzt auf dem Boden, halb hinter dem Bett versteckt. Sie hat Kopfhörer auf, die Augen zu und einen ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck, der mir irgendwie bekannt vorkommt   – mir fällt bloß nicht ein, woher.
    Eine völlig schräge Situation. Um mich bemerkbar zu machen, muss ich sie antippen, aber ich will sie auf keinen Fall erschrecken.
    Unschlüssig stehe ich da und will schon wieder runtergehen, als ich es sehe. Ein Messer. In ihrer Hand.
    Es ist ein kleines, scharfes Messer, genau wie die im Werkunterricht. Was hat sie damit vor? Als sie den Arm ausstreckt und mit der Klinge langsam drüberfährt, weiß ich wieder, was mir so bekannt vorkommt. Ihr Gesicht, ihre Haltung, die Art, wie sie sich entspannt, während das Blut austritt, ist genau wie bei den Junkies, die ich manchmal im Park gesehen habe, wenn sie sich ihr Zeug gespritzt haben.
    Mir wird kotzübel und ich muss mir auf die Zunge beißen. Gleichzeitig überkommt mich ein unterschwelliges Gefühl von   … ich mag es gar nicht aussprechen   … aber es hat beinahe etwas Erregendes, ihr dabei zuzusehen, |205| wie sie auf das Blut starrt, das ihr am Arm runterläuft. Ich habe das Gefühl, bei etwas sehr Privatem und sehr   … Wahrhaftigem zuzuschauen.
    Sie tupft das Blut mit einem Papiertaschentuch ab, nimmt ein Pflaster und klebt es vorsichtig über den Schnitt. Mir wird klar, dass das Ganze geplant ist, sie hat schon alles zurechtgelegt. Dann rollt sie den langen Ärmel wieder runter und lehnt sich mit dem Rücken ans Bett.
    Ich schiebe mich geräuschlos aus der Tür und will mich unbemerkt verziehen, aber sie muss aus dem Augenwinkel etwas gesehen haben, denn sie schreckt hoch, reißt sich die Kopfhörer runter und brüllt mich an: »Was zum Teufel hast du in meinem Zimmer zu suchen?«
    Ich bin so baff, dass die stille, schüchterne Claire so laut werden kann, dass es mir die Sprache verschlägt. Ich mache einen Schritt auf sie zu und setze mich aufs Bett.
    »Ich   … äh   … tut mir leid. Ich meine, ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut, wie ich mich neulich benommen habe. Ich war einfach durch den Wind.«
    »Wie lange stehst du schon da? Niemand darf mein Zimmer betreten!«
    Am liebsten hätte ich gelogen. Am liebsten hätte ich gesagt: »Bin gerade eben erst gekommen«, und wäre wieder nach unten gegangen. Was geht’s mich an, was sie hier treibt? Wenn sie sich ritzen will, ist das ihre Sache. Aber ich erwidere: »Lang genug, um zu sehen, was du gemacht hast«, worauf sie erst still ist und mir dann eine runterhaut.
    |206| Es tut nicht mal richtig weh, sie ist so schwach wie eine Dreijährige. »Aua!«, mache ich nicht sehr überzeugend und lasse mich rückwärts aufs Bett fallen. »Ich hätte ja auch sagen können, ich hätte nichts gesehen. Aber ich hab’s gesehen, und ehrlich gesagt, finde ich es nicht besonders toll.«
    »J-jetzt erzählt ihr das bestimmt in der g-ganzen Schule rum, d-du und deine F-Freundin . Wie k-kommst du dazu, einfach hier reinzuschleichen und mich zu b-beobachten? Ich habe dein blödes Geheimnis nicht w-weitererzählt, also lass mich gefälligst auch in Ruhe!«
    »Ach, ich glaube, Ashley will mit mir nichts mehr zu tun haben. Sie fühlt sich vernachlässigt.«
    »Sie ist eine blöde Kuh. Ich hasse sie.«
    »Wart ihr nicht mal befreundet?«
    »Schon, aber nur bis zum ersten Tag in Parkview, als sie und Emily und Lauren so getan haben, als ob sie mich nicht kennen. Sie haben nicht mit mir geredet und wollten nicht, dass ich mich beim Mittagessen zu ihnen setze, und sie haben allen erzählt, was ich für ein Trottel bin.«
    »Das kenne ich.« Ich sehe Arrons Gesicht vor mir, als ihm klar wurde, dass fast alle aus unserer Clique auf die Armistead gehen würden und er und ich zwei Stunden pro Tag auf dem Weg zur und von der Schule allein miteinander verbringen mussten.
    »Ach ja?« Sie glaubt mir nicht.
    »Ja. Hör mal, Claire, ich sage es echt keinem weiter. Schließlich hast du auch nichts von meinen Augen verraten, was ich übrigens super von dir finde.«
    |207| »Wieso haben deine Augen überhaupt die Farbe gewechselt?«, will sie wissen. »Sind sie jetzt wieder braun?«
    Ich ziehe

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