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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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Verdammt noch mal   – ein Wunder!
    »Heilige Maria, Mutter Gottes   …«
    Gran umklammert meine Hand. Ihre Augen sind offen. Ihre Lippen bewegen sich im Einklang mit meinen Worten. Jetzt muss ich zu Ende beten.
    »Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres   … unseres   …«
    »Todes«, sagt Louise. Ihre Augen sind voller Tränen und sie küsst mich auf die blöde Wollmütze. »Amen.«
    »Amen«, haucht Gran. Ihre Stimme ist ganz schwach und zittrig. Dann sagt sie: »Bist du das, Louise? Kannst du mir helfen?«
    Danach geht alles ganz schnell. Dave will, dass ich nach meiner halben Stunde wieder gehe, aber ich weigere mich. Die Schwestern und Ärzte müssen sich um Gran kümmern, und Dave sagt, ich darf nicht mit ihnen im Zimmer sein, darum nimmt er mich mit ins Wartezimmer, wo Mum und Emma sitzen. »Ihr habt eine Viertelstunde zusammen, und dann darfst du noch mal eine Viertelstunde zu der alten Dame, aber dann ist endgültig Schluss.«
    »Sie ist keine alte Dame, sie ist erst achtundfünfzig«, erwidere ich. Wie sie da lag, hat Gran eher wie hundertacht ausgesehen.
    »Von mir aus, Kleiner. Schön, dass sie wieder bei sich ist. Das hast du gut gemacht.«
    |235| Im Wartezimmer ist es genauso warm wie in Grans Zimmer. Meine Mum liegt schlafend auf einem Sofa. Sie sieht völlig anders aus   – fast schon wieder wie früher, denn sie hat lange, blonde Haare. Wie haben sie das hingekriegt? Ach so, wahrscheinlich eine Perücke. Emma sitzt im Dunkeln und liest mithilfe einer kleinen Taschenlampe in einer Modezeitschrift. Als sie mich sieht, springt sie auf: »Ty! Ich glaub’s ja nicht!«
    Ich freue mich sehr, sie wiederzusehen. Emma ist die Lockerste in unserer ganzen Familie und fast so was wie eine große Schwester für mich. »Gran ist wieder wach!«, sage ich zu ihr.
    »Ich wusste, dass sie aufwacht, wenn
du
kommst. Die Polizei wollte es erst nicht erlauben, aber es war letztendlich die einzige Möglichkeit, dass sie wieder zu sich kommt. Weißt du überhaupt, dass man uns für eine Weile ins Ausland bringen will, Ty? Mich und Louise und Gran, jedenfalls sobald sie das Krankenhaus verlassen kann.«
    »Was ist mit Nicki und mir?«
    »Euch beide nicht. Sie finden es anscheinend besser, wenn wir voneinander getrennt sind.«
    »Na ja, dafür sind die ja echte Experten. Leute beschützen und so.«
    Sie kriegt meine Ironie nicht mit und antwortet: »Das hoffe ich doch.«
    Ich denke an Emma, an ihren Job in der Modebranche und ihren Freund Paul. Ich denke an Louise, an ihren Uni-Abschluss, an ihre Wohnung in Hoxton und ihre Arbeit |236| als Fachleiterin für Englisch an einer Mädchenschule in Westminster. Ihnen allen habe ich das Leben versaut.
    »Ich wollte das nicht, Emma. Ich bin an allem schuld.«
    »Ach Quatsch, Ty, denk doch nicht so was. Du bist nur ein Zeuge. Die Jungs, die jetzt vor Gericht kommen,
die
sind an allem schuld. Und der Drecksack, der die Bombe in den Laden geworfen hat.«
    »Warst du mal dort? Hast du Mr Patel gesehen?«
    »Ich habe den Laden gesehen«, antwortet sie und sieht dabei so ernst aus, wie ich Emma noch nie erlebt habe. »Mr Patel ging es einigermaßen. Er war gerade dabei, das Ganze mit seiner Versicherung zu regeln.«
    »Was   … wie findet Lou es, dass ihr wegziehen sollt?«
    »Na ja, begeistert ist sie nicht. Sie muss hier eine Menge aufgeben. Aber sie gibt nicht dir die Schuld, mein Liebling, denk das bloß nicht.«
    »Wo sollt ihr denn hin?«
    »Keine Ahnung, das wollen sie uns nicht sagen. Wird wohl ein Überraschungsausflug, jedenfalls bis wir am Flughafen sind. Spanien wär doch nicht verkehrt. Ein bisschen Sonne   …« Sie schüttelt Mum sachte an der Schulter. »He, Nicki! Sieh mal, wer da ist.«
    Mum braucht eine Weile, bis sie aufwacht, und ich stelle erschrocken fest, dass sie abgenommen hat. Sogar das neue rote Oberteil, in dem sie so hübsch ausgesehen hat, hängt jetzt schlabbrig an ihr runter. Meine Mum schmilzt wie ein Schneemann in der Sonne. Sie blinzelt mich verschlafen an. »Ty? Geht’s dir gut? Was ist denn los?« Sie klingt wie ein kleines Mädchen.
    |237| »Mir geht’s gut. Alles ist gut. Gran ist aufgewacht.«
    »Echt? Louise hat gesagt, sie wacht auf, wenn du kommst.« Mum klingt nicht so froh, wie ich erwartet hatte. Sie hört sich eher genervt an.
    »Ich darf gleich noch mal zu ihr rein. Wann kommst du wieder, Nicki?«
    Sie zuckt die Achseln. »Wenn die es mir sagen   … keine Ahnung. Vielleicht soll ich ja jetzt gleich wieder

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