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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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mit dir zurückfahren.«
    Ich merke sofort, dass sie wieder durchgedreht ist. Ungefähr so wie vor ein paar Wochen: unfähig, Entscheidungen zu treffen; ihre Selbstständigkeit, ihr Kampfgeist, ihr eigener Wille, alles weg.
    »Was würdest
du
denn gern machen?«, fragt Emma vorsichtig. »Vielleicht bleibst du wirklich besser wieder bei Ty. Mum hat bestimmt nichts dagegen.«
    Nicki sieht irgendwie verwirrt aus. »Das habe ich nicht zu bestimmen   …«
    »Ich rede mit der Polizei«, sage ich über sie hinweg zu Emma. »Wir finden bestimmt eine Lösung.«
    Emma sieht noch besorgter aus als vorher. »Nicki, warum fragst du nicht mal, ob du jetzt zu Mum darfst? Ty und ich kommen gleich nach.«
    Mum geht raus und ich höre sie draußen mit Dave sprechen. Emma legt den Arm um mich. »Ty-Schatz, ich mache mir ein bisschen Sorgen um Nicki. Sie kommt mir irgendwie weggetreten vor, neben der Spur, ist gar nicht mehr sie selbst.«
    »Ich weiß. Es ging ihr schon besser, aber jetzt scheint |238| es wieder schlimmer geworden zu sein. Isst sie denn genug?«
    »Geht so. Außerdem kommen sie und Louise nicht gut miteinander klar. Nicki ist überempfindlich und glaubt, wir machen sie für alles verantwortlich, was überhaupt nicht Lous Absicht ist. Es war nicht einfach.«
    »Wieso bezieht sie denn alles auf sich?
Ich
bin doch derjenige.«
    »Na ja, sie denkt, dass Lou denkt, dass sie keine gute Mutter ist, und das macht ihr zu schaffen.«
    Sieht ganz so aus. Demnach glaubt Louise, dass alles meine Schuld ist.
    Dave klopft. »Eine Viertelstunde bei deiner Gran kann ich dir noch gewähren, Ty, dann musst du aber wirklich los. Die Kollegen wollen dich nicht durch die Gegend kutschieren, wenn es hell ist.«
    Anscheinend bin ich eine Eule oder Fledermaus. Ein Geschöpf der Nacht. Oder vielleicht ein Werwolf.
    Als wir reinkommen, sieht Gran schon viel wacher aus, auch wenn sie nicht sehr gesprächig ist und nicht richtig zu wissen scheint, was los ist. »Ty?«, sagt sie matt und streckt die Hand nach mir aus. »Was ist das denn?« Sie wundert sich über die Mütze.
    »Setz das Ding ab«, flüstert Mum, und ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich ziehe die Mütze ganz schnell vom Kopf und Louise und Emma schnappen erschrocken nach Luft, als sie meine rabenschwarzen Haare sehen.
    »Oh Gott, er sieht ja aus wie sein Dad!«
    Die arme Gran kapiert gar nichts mehr. »Bist du das, |239| Ty?« Ich setze die Mütze wieder auf und stopfe die Haare drunter.
    »Du warst ziemlich lange krank, Gran. In der Zwischenzeit habe ich mich halt verändert.«
    »Ach so«, sagt sie und sieht wieder zufrieden aus.
    »Die Zeit ist um«, unterbricht Dave und ich umarme alle nacheinander. Ich beuge mich zu Gran runter und gebe ihr einen Kuss.
    »Mach’s gut, Gran. Und werd ganz schnell wieder gesund.«
    »Bis bald, mein lieber Junge«, sagt sie. Schön wär’s.
    »Ich bin bald wieder bei dir«, sagt Mum, aber es klingt nicht sehr glaubhaft.
    Louise gibt mir einen Kuss. »War schön, dich zu sehen. Pass auf dich auf.«
    »Pass auf dich auf«, sagt auch Emma, und dann meint Dave: »So, tut mir leid, aber das war’s.«
    Er führt mich nach draußen, wieder durch jede Menge Flure, mit dem Fahrstuhl nach unten und durch die leere Empfangshalle. Draußen ist es kalt   – es dämmert schon und die Vögel fangen an zu zwitschern. »Das hat viel zu lange gedauert!«, sagt Dave und hält sein Funkgerät ans Ohr.
    Dann kommt ein Auto mit quietschenden Reifen um die Ecke, ein lauter Knall   – peng!   – und Dave schubst mich in den Eingang zurück, bevor er stolpert und hinfällt. Helles Blut sickert durch sein Hemd.

|240| Kapitel 19
Unter der Decke
    »Lauf!«, ruft er mir zu, »hau ab!« Der Blutfleck wird immer größer.
    »Aber   … Sie sind   …«
    Er zeigt auf den Flur hinter mir. »Los, verzieh dich   … vielleicht verfolgen sie dich   …«
    Ich will ihn nicht im Stich lassen, aber   … aber er hat gesagt, ich soll   … Ich renne los. Weg von dem Blut.
    Ich laufe, laufe den Flur entlang und stoße zweimal irgendwelche Flügeltüren auf. Das Krankenhaus erwacht allmählich zum Leben und ich pralle fast mit zwei Putzleuten zusammen. »Draußen liegt ein Mann«, keuche ich. »Jemand hat auf ihn geschossen   …« Dann renne ich weiter, an ihren glotzenden Gesichtern vorbei.
    Krankenhäuser sind komische Gebäude. Dieses hier kommt mir vor, als hätte man lauter Häuser aneinandergeklebt. Auf den Fluren verlaufen Linien mit verschiedenen Farben,

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