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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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|231| Ich nehme ihre Hand. »Ich bin’s, Gran, Ty. Es tut mir echt leid, Gran, es ist alles meine Schuld.«
    Sie stöhnt und ihre Lider flattern. Mein Herz schlägt wie irre, meine Hände schwitzen. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Dann fällt mir wieder ein, worüber Doug und Maureen im Auto gesprochen haben, und ich fange an zu überlegen. Vielleicht ist das hier ja eine Falle oder so was. Vielleicht haben die mich ganz allein hier reingeschickt, weil sie glauben, ich würde Gran etwas erzählen, was ich sonst noch keinem erzählt habe. Kann das sein, dass die mich heimlich aufnehmen oder sogar filmen?
    »Gran, ich versuche, das Richtige zu tun, genau wie du gesagt hast. Ich habe niemandem was getan. Ich wollte nur verhindern, dass Arron Ärger kriegt. Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen.«
    Ich habe es versucht und alles vermasselt. Hab alles nur noch schlimmer gemacht   …
    Die Tür geht auf und ich fahre herum. Es ist meine Tante Lou, aber sie sieht ganz blass und eingefallen aus, und ihr Haaransatz ist so dunkel, dass es aussieht, als hätte sie die Spitzen in gelbe Farbe getaucht. Wir umarmen uns, und es ist total komisch, sie zu spüren und zu wissen, dass sie tatsächlich mit mir in diesem stickigen Zimmer ist.
    »Ty, mein Schatz, wie siehst du denn aus?«, fragt sie. »Schwitzt du dich nicht tot unter dieser komischen Mütze?«
    »Doch. Aber ich darf sie nicht absetzen«, antworte ich |232| nervös. Schweiß kitzelt mich auf der Stirn und die Mütze juckt wie blöd.
    »Diese blöde Polizei!« Sie greift nach Grans anderer Hand. »Wir glauben, dass Gran bald wieder zu sich kommt, deshalb haben wir gefragt, ob sie dich nicht herbringen können. Sie hat schon ein paarmal die Augen aufgemacht und sogar ein, zwei Worte gesagt, aber dann war sie wieder weg. Wir dachten, wenn sie deine Stimme hört, holt sie das vielleicht zurück. Du bist doch ihr Ein und Alles. Wir haben aber nicht damit gerechnet, dass die Polizisten dich hier drin allein lassen. Du hast doch bestimmt einen Riesenschreck gekriegt.«
    »Geht schon.«
    »Mensch, bist du groß geworden«, sagt sie. »Du wirst ja ein richtiger Mann!«
    »Äh, na ja   … Wo ist Mum?«
    Lou schaut mich komisch an. Wahrscheinlich hat sie noch nie gehört, dass ich Nicki »Mum« genannt habe. »Nic ist mit Emma im Wartezimmer. Ihr seht euch noch. Es sollen immer nur zwei oder drei von uns bei Gran sein, und die meinten, dass du und ich und er«, sie deutet mit dem Kinn auf Dave, der vor der Tür Stellung bezogen hat, »schon mehr als genug sind. Sprich ein bisschen mit ihr. Sie wäre überglücklich, dich wiederzusehen.«
    Ich beuge mich wieder über das Bett. »Gran, ich bin da! Wach doch auf. Ich kann nicht lange bleiben, die lassen mich nicht.« Wieder scheinen ihre Lider ein wenig zu flattern.
    Lou hüstelt. »Du weißt ja, wie sie ist, Ty. Wir haben jeden |233| Tag den Pfarrer hier. Vielleicht hilft es ja, wenn du ein Gebet für sie sprichst   …«
    »Also ehrlich, Lou!« Ich weiß nicht, ob ich das jetzt bringe.
    »Versuch’s einfach, Ty, uns nimmt sie das nicht ab, sie weiß, dass wir es nicht ernst meinen.«
    Aber ich, oder wie? »Muss das sein?« Aber mir ist klar, dass es sein muss. »Wo ist denn ihr Rosenkranz?«
    »Der ist noch in ihrer Wohnung. Die Polizei will nicht, dass wir hingehen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen ihn mitbringen, aber das ist noch nicht passiert. Der Pfarrer hat uns den hier gegeben.«
    Es ist ein ganz einfacher mit elfenbeinfarbenen Plastikperlen, nicht so wie Grans schöner Rosenkranz aus Olivenholz, den ihr Opa gekauft hat, als sie in Rom waren. Der ist ihr wertvollster Besitz. Aber ich denke, der hier tut’s auch.
    Ich lege den Rosenkranz in Grans eine Hand und nehme die andere. Ich beuge mich so nah wie möglich zu ihr runter und lege meine andere Hand auf den Rosenkranz. Die Perlen fühlen sich schön an, kühl und glatt. Sie erinnern mich an die Zeit, als ich klein war und wir noch bei Gran gewohnt haben.
    »Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade«, sage ich ganz langsam. Hoffentlich ist die halbe Stunde bald um, dann muss ich nicht bis zu Ende beten. »Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen   –«
    Es hört sich an, als ob Gran leise hustet, und sie bewegt wieder die Augen. Louise kneift mich in den |234| Arm. »Es klappt, mach weiter! Ich wusste doch, dass es klappt.«
    »und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.«
    Gran macht die Augen auf. Sie macht die Augen auf!

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