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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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sie meint: »Weißt du was, Ty? Was dich nicht umbringt, macht dich nur noch stärker«, was ziemlich erstaunlich ist, denn ich hätte gedacht, dass Maureen viel zu alt ist, um Kanye West zu kennen.
    »Trotzdem«, fährt sie fort, »können wir froh sein, dass deine Verwandlung in Joe offenbar so gut gelungen ist, dass dich hier niemand mit Ty in Verbindung bringt. Vielleicht können wir dir schon bald so was wie eine Therapie anbieten, aber fürs Erste musst du dich mit einem guten Rat von mir begnügen.«
    »Nämlich?«
    »Ruhe bewahren und weitermachen. Das stand auf einem Plakat im Zweiten Weltkrieg   – nein, so alt bin ich auch wieder nicht, du Frechdachs   – und ich fand das Motto immer ziemlich brauchbar.«
    Es ist ein gutes Motto für einen Läufer, denke ich, und überlege, ob ich es noch mal probieren soll. Maureen kann offenbar Gedanken lesen: »Na los«, sagt sie. »Vielleicht schaffst du es ja diesmal.«
     
    Auf der Treppe zögere ich kurz, dann daddele ich auf meinem iPod herum, bis ich den Song von Kanye West |264| gefunden habe, auf den Maureen angespielt hat, und laufe zum Gartentor. Ich bin kurz davor, mich umzudrehen und zurückzugehen. Aber jetzt, wo Maureen mir zusieht und Kanye mir ins Ohr singt, dass ich stark sein soll, gelingt es mir, die Straße runterzujoggen und um die Ecke, und dann laufe ich wieder. Und vielleicht, ganz vielleicht, kann ich Maureens Rat ja annehmen.

|265| Kapitel 21
Fundsachen
    Mum kommt am Sonntagabend gegen neun zurück, als ich gerade ein Schulhemd für den nächsten Tag bügle. Sie ist blass und verstört und blinzelt, als wäre sie gerade erst aufgewacht. Ich stelle das Bügeleisen ab, gehe auf sie zu und umarme sie. »Hallo, Nic. Wie geht’s Gran?«
    »Keine Ahnung«, sagt sie mit abwesender, ganz piepsiger Stimme. »Die haben sie uns weggenommen. Dann haben sie uns in ein Hotel gesteckt   … Und dann waren wir dort, und jetzt sind wir hier, bloß Emma und Lou sind woanders, keine Ahnung, wo.«
    Ich frage mich, ob es wirklich ein Hotel war. Sie benimmt sich, als wäre sie in einer Irrenanstalt gewesen. »Das war wegen der Schießerei«, sage ich ungehalten. »Da mussten sie euch schnell wegbringen.«
    »Ach Gott, ja, die Schießerei«, sagt Mum, als wäre sie ein Fernseher, den jemand angestellt hat. »Die hätten dich umbringen können. Geht’s dir gut? Oh Gott, Ty.«
    »Ja, ja, sonst würde ich hier nicht Hemden bügeln, oder?«
    Der Fernseher geht wieder aus. »Ach so. Ich weiß nicht. Mir haben sie nichts gesagt.«
    |266| »Die müssen dir doch gesagt haben, dass es mir gut geht.«
    »Wahrscheinlich.« Sie ist sich nicht ganz sicher. »Meistens reden sie mit Louise und die erzählt mir nicht alles.«
    Maureen hat zurückhaltend neben der Tür gestanden, jetzt kommt sie rüber und nimmt Mum in den Arm. »Nicki, meine Liebe, legen Sie sich doch erst mal ein bisschen schlafen. Morgen fühlen Sie sich dann bestimmt besser. Wenn Sie möchten, bleibe ich noch ein paar Tage hier. Nur so lange, bis Sie wieder auf dem Damm sind. Dann kann ich Ihnen auch erzählen, wie es Ty in Ihrer Abwesenheit ergangen ist.«
    Nicki scheint Maureen gar nicht richtig wahrzunehmen. »Wie Sie wollen   …«, sagt sie. »Mir egal, ob   …« Sie lässt den angefangenen Satz in der Luft hängen und geht aus dem Zimmer.
    »Um Himmels willen«, sagt Maureen. »Ich bringe sie lieber gleich ins Bett. Deine Mutter ist ja dermaßen neben der Spur, dass sie es wahrscheinlich nicht mal schafft, sich auszuziehen. Mach dir keine Sorgen, Ty, ich haue hier nicht gleich ab, ganz egal was mein Boss sagt.«
    Ich beuge mich über das Bügelbrett und konzentriere mich darauf, auch noch die letzte Falte aus dem Hemd rauszukriegen. Ich bügle sechs Hemden, fünf Taschentücher, zehn T-Shirts und zwei Hosen. Dann mache ich mit Geschirrtüchern, Unterhosen und sogar Socken weiter. Als es im ganzen Haus nichts mehr zu bügeln gibt, suche ich alle Bücher zusammen, die ich am nächsten Morgen brauche. Dann finde ich im Fernsehen eine Folge der |267|
Simpsons
und schaue sie mir an, ohne auch nur ein Mal zu lachen.
    Doug und Maureen kommen rein und setzen sich links und rechts von mir auf die Couch. »Also, Ty«, sagt Maureen, »ich bleibe noch hier. Doug meint, deine Mutter ist wahrscheinlich ein bisschen durcheinander, weil sie im Auto eine Schlaftablette genommen hat. In den nächsten Tagen wird sie bestimmt wieder ganz die Alte.«
    Ich bin skeptisch. »Sie war schon im Krankenhaus ein bisschen so

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