Mehr als nur ein Zeuge
eine etwas traditionellere Lebensweise kennenlerne.
Arron meinte: »Das Problem ist, dass deine Mum zu gut aussieht, Kumpel. Sie ist keine normale Mutter. Sie sieht aus, als hätte sie dich mit acht gekriegt.«
Und dann hat er gesagt: »Du brauchst dir nur einen von denen zu schnappen und ihm eins in die Fresse hauen, dann hört das sofort auf. Komm schon, Bruder. Denk an die Tricks, die wir beim Boxen gelernt haben.«
Und ich hab den Kopf geschüttelt, weil es so viele waren, und alle waren größer als ich, und ich dachte, wenn ich einem aufs Maul haue, muss ich es danach mit allen aufnehmen. Ich habe gemerkt, dass mich Arron deswegen verachtet hat. Später hat er dann mit dem »Muttersöhnchen« angefangen. Und mit »Mädchen«. Und »Schwuchtel«. Und ich musste es mir gefallen lassen, weil er mein einziger Freund war. Aber ich hatte immer Schiss, dass es womöglich wahr wird, wenn ich mir gefallen lasse, dass er so was sagt.
Aber das hätte mir alles nicht so viel ausgemacht, wenn es nicht dieses Gespräch gegeben hätte, das mich jahrelang beschäftigt hat. Seit ich acht oder neun war, haben Nicki und ich im Fernsehen die
EastEnders
geguckt, und einmal hat Sharon wegen einem Baby geheult und gejammert, mit dem sie schwanger war und das sie nicht |261| bekommen hat. Weil sie irgendwie beschlossen hat, es nicht zu bekommen.
Ich habe zu Nicki gesagt: »Ich wusste gar nicht, dass man ein Baby wieder wegmachen kann.«
Und sie hat geantwortet: »Na ja, manchmal schon.«
»Hättest du das auch gekonnt?«
Sie hat gelacht und gesagt: »Was für eine Frage! Doch nicht mit deiner Gran und dem Papst im Nacken!« Als ich sie verständnislos angesehen habe, hat sie mich geküsst und gesagt: »Ich würde nicht mehr auf meinen Prachtjungen verzichten wollen!«
Trotzdem hat das ewig an mir genagt, wie das oft mit Sachen ist, die man nicht richtig versteht, die aber vielleicht wichtig sein könnten. Ich habe es bis zu dem Tag verdrängt, bevor ich in St. Saviours anfangen sollte. Ich habe meinen neuen Schulblazer anprobiert, und Nicki meinte auf einmal: »Weißt du, Ty, in deiner neuen Schule nimmt man es mit Gott und so ziemlich ernst. Aber das macht gar nichts, und ich bin superstolz, dass du dort hingehst. Vergiss bloß nie, dass du selbst denken kannst. Lass dich von denen nicht mit Jesus und Maria und dem Papst vollstopfen, bis du selbst nicht mehr weißt, was du eigentlich willst.«
Sie hatte ganz traurige Augen und mir fiel unsere Unterhaltung von damals wieder ein, und mir wurde irgendwie klar, dass Nicki es wie Sharon aus den
EastEnders
gemacht hätte, wenn Gran und der Papst nicht dagegen gewesen wären. Auch damals hab ich nicht richtig verstanden, wie oder warum, aber an diesem Tag ist ein Teil |262| meines Selbstbewusstseins, meiner Fröhlichkeit gestorben. Was keine so tolle Voraussetzung war, um mit der neuen Schule anzufangen.
Ich liege immer noch auf dem Sofa, gehe das alles wieder und wieder durch und tue mir ein bisschen leid, als Maureen reinkommt. »Doug ist weg«, sagt sie. »Er will in Erfahrung bringen, was inzwischen passiert ist. Vielleicht bringt er deine Mutter gleich mit.«
Sie gibt sich Mühe, nicht allzu neugierig zu klingen. »Ist deine Freundin auch schon weg?«, fragt sie. Was glaubt sie denn, wo ich Ashley versteckt habe?
»Haarscharf erkannt.«
»Alles in Ordnung?«
»Sie hat mit mir Schluss gemacht, falls Sie das wissen wollen.«
»Das tut mir leid. Wart ihr lange zusammen?«
»Zwei Wochen, aber wir hatten ein paar unvergessliche Augenblicke …«, sage ich melancholisch und merke erst hinterher, wie beknackt sich das anhört. Dann muss ich lachen, weil ich innerlich vor Freude fast überkoche, dass ich jetzt Claires Freund sein darf. Jetzt kann ich mit ihr shoppen gehen und ihr helfen, ein paar nettere Klamotten auszusuchen, ich kann ihre langen, welligen Haare mit einem Seidenband zusammenbinden, und ich habe endlich jemanden, mit dem ich reden und dem ich mich nahe fühlen kann. Eine richtige Freundin.
Maureen lacht auch und sagt: »Da bist du bestimmt fix und fertig. Soll ich dir einen Tee machen?«
|263| »Au ja. Danke.«
Wir sitzen am Küchentisch, und ich erzähle ihr, dass ich es nicht fertiggebracht habe, laufen zu gehen. »Das war gestern ein schreckliches Erlebnis für dich, Ty«, sagt sie. »Mach dir nichts vor. Irgend so ein gewissenloser Drecksack hat versucht, dich umzubringen, und damit kommt man nicht so schnell klar.«
»Stimmt«, sage ich, und
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