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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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komische Situation: Alle schauen zu uns hoch, wir sitzen aneinandergelehnt da und keiner sagt was. Dann rafft sich Janet auf: »Um Himmels willen, Claire, du gehörst ins Bett!«, und Claire sagt: »Ich geh nicht wieder ins Bett, außer Joe kommt mit«, und dann wird sie knallrot, und ich glaube, ich auch, denn das war nicht gerade eine hilfreiche Bemerkung.
    »Warum gehen wir nicht alle nach oben«, schlägt Mum vor, »dann kann sich Claire hinlegen, und wir können uns alle weiter unterhalten.«
    Alle sind einverstanden, also gehen wir in Janet und Gareths Schlafzimmer, wo Claire in das große Doppelbett kriecht und ich mich verlegen auf den Rand setze. Die drei Erwachsenen bleiben stehen.
    »Claire   …«, sagt Janet, »Joe hat vorhin zugegeben, dass er dir wehgetan hat. Wir können nicht zulassen, dass du weiterhin mit ihm zu tun hast, Schatz, auf solche Freunde kannst du verzichten.«
    Claire sieht schmal, blass und schwach aus, aber sie weiß, was sie will.
    »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Mum: Ich habe keine anderen Freunde. Joe hat mir nur ungefähr zwanzig Sekunden wehgetan, dann hat er mich sofort gefragt, ob wir bitte Freunde sein können. Er wollte mir Angst machen, aber ich hab ihn gleich durchschaut. Ich habe gemerkt, dass er selber Angst hat. Er hat sich entschuldigt und mir alles erklärt, und ich habe verstanden, warum er sich so verhalten hat. Er würde so was nie wieder tun.«
    |330| Ich schöpfe neue Hoffnung, aber dann reißt meine Mum ihre große Klappe auf.
    »Claire«, sagt sie und schaut mich dabei überhaupt nicht an, »Claire, es gibt keine Entschuldigung dafür, dass ein Junge einem Mädchen wehtut. Niemals! Auch nicht, wenn es nur zwanzig Sekunden waren.«
    Ich kann nicht glauben, dass sie mir das antut. Ich bin ihr Sohn. Bedeute ich ihr denn überhaupt nichts? Wie kann sie nur? Warum?
    Und dann sagt sie: »Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede«, und da weiß ich, warum. Es ist so, als hätte ich es nie gewusst und trotzdem immer gewusst. Ich weiß, warum mein Dad vor vielen Jahren einfach so aus unserem Leben verschwunden ist. Und ich weiß, wovor wir beide Angst haben.

|331| Kapitel 27
Als ich Joe war
    Claire will widersprechen, aber Mum sagt: »Ich nehme Joe jetzt mit nach Hause. Wir haben einiges zu besprechen, und ich glaube, du solltest auch mit deinen Eltern reden. Es tut mir wirklich leid, aber ich halte es für besser, wenn ihr zwei euch für heute voneinander verabschiedet.« Sie schaut Janet und Gareth an: »Vielleicht geben wir ihnen noch ein paar Minuten.«
    Sie gehen raus auf den Treppenabsatz und wir sind allein. Ich lege den Kopf neben Claire aufs Kopfkissen. »Ich hab alles versaut«, sage ich.
    Und Claire sagt: »Du redest mit ihr und erklärst ihr alles, und ich rede mit meinen Eltern. Gib bloß nicht auf. Ich brauche dich so sehr.«
    »Aber ich hab keine Ahnung, was noch passiert. In der Schule ist die Hölle los. Ashley   …« Aber ich kriege den Satz nicht mal mehr zuende.
    »Alles wird gut«, sagt sie. »Nicht aufgeben.«
    Wir küssen uns, und es ist das Tollste auf der Welt, ihre süßen Lippen zu schmecken und ihre weichen Haare zu streicheln. Trotzdem   … ich habe beinahe schon aufgegeben, und ich glaube, sie merkt es.
     
    |332| Mum und ich gehen zur Haltestelle, dann sitzen wir im Bus und wechseln kein einziges Wort, bis wir zu Hause sind. Unterwegs werde ich immer wütender auf sie, weil sie sich eingemischt hat. Und wegen dem, was sie mir bisher verschwiegen hat. Und weil sie das alles zugelassen hat. Das alles. Es ist ihre Schuld. Vor lauter Wut habe ich einen dicken Kloß im Hals.
    Von wegen ihr alles erklären. Ich will nie wieder ein Wort mit ihr reden. Morgen frage ich die Polizei, ob sie mir nicht einen anderen Erziehungsberechtigten besorgen können. Ich werfe mich aufs Sofa und schalte den Fernseher an. Gerade läuft eine neue Folge
Simpsons,
echt witzig. Ich konzentriere mich voll darauf, alles andere auszublenden, und es klappt. Ich kriege es hin. Konzentration ist alles.
    Sie lässt mich fünf Minuten in Ruhe, dann kommt sie reinmarschiert und stellt die Glotze aus. »Ey! Ich hab gerade was geguckt!«
    »Herrgott noch mal, Ty, es ist ja wohl wichtiger, dass wir über das reden, was gerade vorgefallen ist, oder?«
    »Nein.« Ich mache die Kiste wieder an.
    »Ty, ich will wissen, was los ist! Was hast du mit Claire angestellt? Warum?«
    »Warum hast du dich nicht dafür interessiert, bevor du ihr gesagt hast, dass wir uns nicht

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