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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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dazwischen. »Sie wollen doch nicht behaupten, dass er lügt?«
    »Na ja   … Sie müssen zugeben, dass die Sache ein bisschen verdächtig ist. Ich meine, ich will hier niemanden verurteilen, aber Claire und Ihr Sohn sind doch sehr verschieden. Claire ist noch sehr kindlich für ihr Alter, sehr schüchtern, sehr still. Joe dagegen ist schon recht erfahren, er wirkt viel älter. Was sollen die beiden gemeinsam haben?«
    ›Erfahren‹ klingt harmlos, aber Janet packt eine ganze Menge mehr hinein: verdorben, gewalttätig, prollig, Lügner, Sittenstrolch und jugendlicher Straftäter, und dazu noch Kind einer Teeny-Mutter. Ich warte nur drauf, dass meine Mum explodiert.
    »Vielleicht waren beide ein bisschen einsam und haben sich nach einem Freund gesehnt«, sagt Mum bloß, und ich könnte sie küssen.
    »Ich habe Claire nichts getan«, wiederhole ich. »Ich respektiere sie und mache mir Sorgen um sie, und ich finde, sie ist der netteste Mensch, den ich kenne. Okay, wir haben uns zweimal geküsst, aber sonst haben wir nichts gemacht, ehrlich nicht   … bitte fragen Sie Claire. Fragen Sie sie, ob ich ihr irgendwas getan habe.« Ich bin kurz vorm Heulen, aber vor allem deshalb, weil mir das Ganze oberpeinlich ist.
    Die anderen sehen ein bisschen mitfühlender aus. Vielleicht wird alles wieder gut. Aber da fällt es mir wieder ein. Ich habe Claire doch etwas getan. Ich habe sie bedrängt. |327| Hier in der Küche. Janet mustert mich prüfend, dann fragt sie: »Was ist los, Joe? Was machst du plötzlich für ein Gesicht? Warum kaust du auf deiner Unterlippe?«
    »Ich   … mir ist gerade etwas eingefallen.«
    Alle warten. Mein Mund ist total ausgetrocknet.
    »Ich war   … einmal gemein zu Claire und hab ihr wehgetan. Hier. Aber nicht so, wie Mr Naylor denkt.«
    Damit können sie nichts anfangen, weil sie   – Gott sei Dank!   – nicht gehört haben, was Mr Naylor gesagt hat. Aber ich habe sowieso schon genug verraten.
    »Was zum Teufel hast du mit unserer Tochter gemacht?«, donnert Gareth jetzt, und ich mache mich drauf gefasst, dass er mir gleich eine scheuert.
    »Ich   … ich   … Claire hat etwas   … sehr Persönliches über mich rausgefunden, und ich wollte sie ein bisschen einschüchtern, damit sie es nicht rumerzählt. Aber ich hab mich dafür entschuldigt, und ich glaube, das hat sie auch verstanden.«
    Mum wirft mir einen raschen Blick zu und ich muss wegsehen. Der Blick ist angewidert, erschrocken und traurig zugleich. Janet steht auf. »Ich glaube, das reicht. Du gehst jetzt besser, Joe, und lass Claire in Zukunft in Ruhe. Ich werde auch mit Ellie sprechen, dass sie dich nicht mehr trainieren soll.«
    »Aber   … darf ich Claire denn nicht mal sehen?«, frage ich verzweifelt. »Ich will es ihr bloß erklären   … und mich verabschieden.«
    »Lieber nicht«, erwidert Janet, und Mum meint: »Komm jetzt, du hast schon genug gesagt.«
    |328| Sie steht auf und wendet sich an Claires Eltern: »Ich hatte keine Ahnung   … ich wusste nichts von alledem. Früher hat er sich nicht annähernd so verhalten. Ich weiß nicht, wie ich mich bei Ihnen entschuldigen soll.«
    Wir gehen zur Haustür. Ich verabschiede mich aus Claires Leben und habe keine Ahnung, wie ich das verkraften soll. Da höre ich sie plötzlich fragen: »Was ist denn hier los?«
    Ich drehe mich um. Sie steht oben an der Treppe, in einem Morgenmantel, die Kapuze über den Kopf gezogen. Sie sieht blass und klein aus, die Haare hängen ihr wieder ins Gesicht. Sie könnte auch erst zehn sein. Ich kann es nicht ertragen, einfach Tschüss zu sagen. Darum renne ich die Treppe hoch und umarme sie.
    »Du kommst sofort wieder runter!«, brüllt Claires Vater, aber das geht nicht, weil sich Claire an mir festklammert. Wir müssen aussehen wie Rotkäppchen und der große böse Wolf. Wobei ich natürlich der Wolf bin.
    »Es tut mir leid, Claire, ich hab’s ihnen erzählt, das damals in der Küche   … und jetzt sind alle total sauer auf mich und wollen, dass wir uns nicht wiedersehen   … das wollte ich nicht   … es ist alles meine Schuld   …«
    Ihr Gesicht ist in meinem Hemd vergraben und ich spüre nur noch ihre Umarmung. Einen Augenblick lang, wenigstens das, fühle ich mich geborgen und geliebt. Dann nimmt sie meine Hand und setzt sich auf die oberste Treppenstufe, zieht mich zu sich runter. Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. »Wir reden über das alles«, sagt sie. »Joe geht nirgendwohin.«
    |329| Eigentlich eine ziemlich

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