Mehr als nur Traeume
Fremdenführerin mit dem gleichen ironischen Unterton wie damals.
Kein Wunder, daß nun alle gespannt auf die nächsten Ausführungen der Fremdenführerin warteten. Nur ärgerte sich Dougless über das anzügliche Lächeln dieser Dame. Solle sie diesmal nicht ein wenig mehr Respekt zeigen?
»Dies war Lord Nicholas Staffords Privatgemach. Er war das, was man heutzutage, gelinde ausgedrückt, als Wüstling bezeichnet.«
Die Gruppe drängte näher heran, um begierig die Geschichten von dem berüchtigten Grafen in sich aufzunehmen. Dougless blieb im Hintergrund stehen. Die Ereignisse hätten einen anderen Verlauf nehmen müssen. Als Nicholas in seine Zeit zurückkehrte, hatte er die Geschichte verändern wollen. Dougless hatte einmal zu ihm gesagt, daß die Geschichte sich nicht ändern ließe. Hatte sie damit auf schreckliche, grausame Weise recht behalten?
Mit einem energischen »Entschuldigen Sie« drängte sich nun Dougless an den vorderen Rand der Gruppe. Der Vortrag der Fremdenführerin war Wort für Wort derselbe wie damals. Sie berichtete von Nicholas’ Charme, dem keine Frau habe widerstehen können, und erzählte abermals diese abscheuliche Geschichte von Arabella und dem Tisch.
Dougless hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Nachdem sich keiner in Ashburton mehr an Nicholas hatte erinnern können und nun die Geschichte die gleiche war wie früher, zweifelte sie fast daran, daß das, was sich ihr unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben hatte, tatsächlich passiert war. War sie verrückt, wie Robert letzte Nacht meinte? Als sie Leute in Ashburton im fast flehenden Ton gefragt hatte, ob sie Nicholas denn wirklich nicht gesehen hätten, hatten diese sie auch angeschaut, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf.
»Bedauerlicherweise nahm der charmante Nick ein böses Ende«, sagte die Fremdenführerin in diesem Augenblick. »Er wurde des Hochverrats angeklagt und am neunten September 1564 enthauptet. Wir gehen jetzt weiter in den Salon auf der Südseite. Bitte, halten Sie sich immer an die Richtungsweiser, die an den Türen aufgestellt sind.«
Dougless’ Kopf ruckte hoch. Hingerichtet? Nein, Nicholas war tot in seiner Zelle über einem unvollendeten Brief an seine Mutter aufgefunden worden.
Dougless drängelte sich wieder bis zur Fremdenführerin vor, die sie von oben herab ansah und sagte: »Aha, die Türöffnerin.«
»Ich habe keine Türen geöffnet. Das war Ni...« Sie hielt inne. Es hatte keinen Sinn, dieser Dame zu erklären, daß damals Nicholas die durch eine Alarmanlage gesicherten Türen auf- und zugemacht hatte. »Sie sagten eben, daß Lord Nicholas Stafford enthauptet worden wäre. Ich habe aber gelesen, daß Lord Stafford drei Tage vor seiner geplanten Hinrichtung tot über einem Brief aufgefunden wurde, den er seiner Mutter schreiben wollte.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte die Frau mit Nachdruck. »Er wurde zum Tode verurteilt, und die Hinrichtung fand termingerecht statt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen? Ich habe eine Besichtigungstour zu leiten.«
Dougless blieb einen Moment wie erstarrt stehen und blickte hinauf zu Nicholas’ Porträt, das über dem Kamin hing. Hingerichtet? Enthauptet? Da stimmte etwas nicht, war absolut falsch.
Sie drehte sich um und strebte dem Ausgang zu. Auf dem Weg dorthin blieb sie vor der Tür mit der Aufschrift »Zutritt verboten« stehen. Hinter dieser Tür befand sich, ein paar Gänge weiter, der Raum mit dem Geheimfach, in dem die Elfenbeinkassette versteckt war. Konnte sie diese wiederfinden? Sie streckte die Hand nach der Türklinke aus.
»Ich würde das nicht machen, wenn ich Sie wäre«, sagte jemand hinter ihr.
Sie drehte sich um und sah einen Aufseher, der sie nicht gerade freundlich musterte.
»Vor ein paar Tagen sind ein paar Touristen durch diese Tür gegangen. Deshalb haben wir inzwischen die Tür verschlossen und mit einer Alarmanlage sichern lassen.«
»Oh«, murmelte Dougless. »Ich dachte, hier ginge es zu den Toiletten.« Sie drehte sich wieder um und verließ das Schloß, was von den Aufsehern mit Stirnrunzeln vermerkt wurde, weil sie dafür den Eingang benützte.
Sie ging in den Souvenirladen und wollte dort alles kaufen, was sie über Nicholas Stafford hatten.
»Da steht ein kurzer Absatz im Katalog für die Besichtigungstour; aber nirgends sonst. Er hat nicht lange genug gelebt, um viel zu bewirken«, sagte die Kassiererin.
Sie fragte, ob sie inzwischen wieder Postkarten mit seinem Porträt bekommen hätten;
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