Mehr als nur Traeume
meisten der darauf dargestellten Personen kannte sie natürlich nicht, aber eines davon mußte Lady Margaret in jungen Jahren darstellen - sie konnte eine entfernte Ähnlichkeit mit Nicholas’ Augen auf dem Bild entdecken. Und daneben hing das Porträt eines älteren Mannes, dessen Kinnpartie sie auch bei Nicholas wiederfand. Sein Vater? fragte sich Dougless. Und dann kam ein Miniaturbild von Kit. Und als letzter in der Reihe entdeckte sie ein Miniaturporträt von Nicholas.
Sie nahm es von der Wand, hielt es einen Moment in der linken Hand und liebkoste es mit den Fingerspitzen. Was war mit diesen Porträts im zwanzigsten Jahrhundert geschehen? Hing eines davon vielleicht in einem Museum mit einem Kärtchen darunter, auf dem Unbekannter Mann stand?
Das Porträt in der Hand, wanderte sie im Raum umher. Unter dem Fenster befand sich eine Polsterbank, auf die Dougless jetzt zuging. Sie wußte, daß man den Sitz hochklappen konnte, und sie fragte sich, was Nicholas wohl darunter verbergen mochte. Sie sah zum Bett hin und bemerkte, daß er noch immer schlief. Sie legte das Porträt auf ein Regal und hob den Sitz an. Er knarrte, aber nicht sonderlich laut.
Im Hohlraum unter dem Sitzbrett befanden sich mit Garn umwickelte Papierrollen. Sie nahm eine davon heraus, löste den Faden und rollte das Papier auf dem Boden auf. Es war eine Skizze von einem Haus, und Dougless wußte sofort, daß dieses Haus Thornwyck war.
»Spionierst du?« fragte Nicholas vom Bett her, und Dougless schrak beim Klang seiner Stimme zusammen.
Sie ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Wie fühlst du dich?«
»Ich würde mich besser fühlen, wenn eine Frau nicht in meinen Privatsachen herumschnüffelte.«
Er sprach wie ein kleiner Junge, dessen Mutter gerade eine Schachtel gefunden hatte, in der sein Tagebuch versteckt war, dachte Dougless. Sie hob die Gebäudeskizze vom Boden auf. »Hast du diese Skizzen außer mir schon anderen gezeigt?«
»Ich habe sie dir ja gar nicht gezeigt«, erwiderte er und wollte ihr das Papier aus der Hand reißen, aber sie wich ihm aus. Er sank, von diesem Kraftakt erschöpft, in die Kissen zurück.
Dougless legte die Pläne auf die Fensterbank. »Hungrig?« fragte sie und füllte eine silberne Schale mit Suppe aus einem Topf, den sie im Kamin warm gehalten hatte. Sie setzte sich neben Nicholas aufs Bett und begann ihm die Suppe löffelweise einzuflößen. Erst wollte er protestieren, daß er zum Essen keine Amme brauchte, aber dann ließ er es sich doch, wie alle Männer, gern gefallen, von einer Frau verwöhnt zu werden.
»Hast du dir die Skizzen schon länger angeschaut?« fragte er zwischen zwei Löffeln Suppe.
»Ich hatte gerade erst eine Skizze auf dem Boden ausgerollt. Wann willst du mit dem Bau des Hauses beginnen?«
»Das ist doch nur so eine Spielerei von mir. Kit wird .. .« Er lächelte und beendete den Satz nicht.
Dougless wußte, was in seinem Kopf vorging. Er war froh, daß sein Bruder, der dem Tod so nahe gewesen war, noch lebte. Das war ihm wichtiger als seine Pläne.
»Meinem Bruder geht es gut?« fragte er.
»Er ist bei bester Gesundheit. Was man von dir nicht sagen kann. Du hast so viel Blut verloren, daß man damit einen Fluß speisen könnte.« Sie wischte ihm den Mund mit einer Serviette ab, und er nahm ihre Hand und küßte ihre Fingerspitzen.
»Wenn ich am Leben bleibe, ist das ebenso dein Verdienst wie die Rettung meines Bruders. Was kann ich tun, um dich dafür zu belohnen?«
Indem du mich liebst, hätte Dougless beinahe geantwortet. Indem du dich genauso wieder in mich verliebst wie beim erstenmal. Und mich jetzt mit den Augen der Liebe betrachtest. Ich bliebe für immer im sechzehnten Jahrhundert, wenn du mich lieben würdest. Ich würde gern auf Autos, Zahnärzte und moderne sanitäre Einrichtungen verzichten, wenn du mich wieder lieben würdest. »Ich möchte nichts dafür haben. Ich wünsche mir nur, daß ihr beiden gesund bleibt und euch in der Geschichte einen guten Namen macht. Dein Arm braucht Zeit. Die Wunde heilt nicht über Nacht.«
»Ich habe reichlich lange geschlafen. Das sollte genügen. Bleibe bei mir und unterhalte mich.«
Dougless verzog das Gesicht. »Mir ist der Stoff für Unterhaltungen ausgegangen. Ich habe jedes Spiel, das ich einmal gesehen, jedes Lied, das ich einmal gehört, in diesem Haus vorgetragen. Mein Gedächtnis ist restlos ausgeplündert. Und nun weiß ich nichts mehr.«
Nicholas lächelte ihr zu. Manchmal verstand er zwar ihre
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