Mehr Bier
vierhundertfünfzigtausend Mark bezahlen. Ist das viel für Chemie Böllig?«
»Wir würden es überleben, nehme ich an. Aber es gibt natürlich weitaus lohnendere Investitionen. Wir sind ein Familienbetrieb. Das will in diesen Zeiten was heißen. Wir kalkulieren knapp.«
»Frau Böllig hält jetzt hundert Prozent.«
»Hundert Prozent von den Anteilen der Familie Böllig. Das sind sechzig Prozent vom Gesamtanteil. Der Rest gehört verschiedenen Aktionären.«
»Sind Sie Aktionär?«
Er strich sich übers Kinn. Dann lehnte er sich zu mir herüber.
»Im Vertrauen, es lohnt sich nicht. Das Risiko ist zu groß. Eine einzige Fehlkalkulation geht an die Existenz der Firma. Aktien von solchen Unternehmen sind was für Spielernaturen. Man muß darauf setzen, daß, zum Beispiel, einem Chemiker in nächster Zeit der große Wurf gelingt.«
»Das wäre?«
»Was Sie wollen. Ein international anerkanntes Haarwuchsmittel, zum Beispiel.«
»Sind vierhundertfünfzigtausend Mark eine etwas größere Fehlkalkulation?«
»Tja, sie könnte den Stein ins Rollen bringen. Ganz zu schweigen von dem Prestigeverlust in der Öffentlichkeit, den ein verlorener Prozeß mit sich bringen würde.«
»Man kann also sagen, streng betriebswirtschaftlich kam der aufsehenerregende Tod von Herrn Böllig der Firma nicht ungelegen.«
Er überschlug sich fast.
»Ich bitte Sie! So habe ich das nie gemeint. Sie dürfen mich da nicht falsch verstehen.«
Ich schrieb mir die Adressen der betroffenen Kinder auf.
»Wird Frau Böllig den Betrieb weiterführen?«
»Das ist noch nicht entschieden. Für den Übergang leite ich die Geschäfte.«
Stolz klang mit. Wahrscheinlich fühlte er sich schon lange zum Chef berufen. Ich fragte mich, wie er mit der Witwe zurecht kam. Reich, dekadent und faul, mußte sie ein rotes Tuch für den ehrgeizigen Meyer sein. Ich stand auf.
»Vielen Dank, Herr Meyer. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lange aufgehalten.«
Wir gaben uns die Hand, und ich ging zur Tür hinaus. Die Prinzessin saß da, rauchte und wartete auf Meyer. Sie schaute ängstlich auf, als ich vorbeikam. Ich lief die dunklen, leeren Flure entlang und hatte nur eine anständige Zigarette im Kopf.
5
Es war halb sieben. Ich verließ die Eingangshalle und schlurfte über den nassen Kies zum Auto. Gelbe Neonröhren beleuchteten den Weg. Fünfzig Meter weiter links stand der Firmenkiosk. Die rote Lottoreklame flackerte unruhig. Ich ging hin und klopfte an die Scheibe. Durch das verregnete Glas sah ich undeutlich eine kleine Gestalt heranhinken, wie ein alter Kahn bei Wellengang. Sie blinzelte zögernd durchs Fenster, bevor sie es zur Seite schob.
»Wassen?«
Die Glöcknerin von Notre-Dame war kaum größer als die Theke. Ich hätte bequem mein Bier auf ihrem Kopf abstellen können. Aus ihrer Nase lief Wasser, und über Kinn und Oberlippe wuchs ein zerzauster Ziegenbart. Es kostete sie Mühe, zu mir aufzuschauen. Ich legte einen Zwanzigmarkschein in das Tellerchen.
»Zwei Packungen Lucky und einen Nulldrei-Asbach.« Ihre krummen Finger nahmen das Geld und schoben es unter die Theke. Dann hangelte sie sich zum Zigarettenregal und danach zu Keksen und Alkohol. Es dauerte seine Zeit, aber sie fand alles. Sie kramte in der Kasse und schob das Wechselgeld über die Theke. Durch die offene Hintertür sah ich ein altes, eisernes Bettgestell.
»Wohnen Sie auch hier?«
»Geht Sie das was an?«
»Frage nur. Vielleicht haben Sie in der Nacht des Anschlags was gehört.«
»Den Knall hab ich gehört. Wie jeder.« Während sie sprach, hielt sie den Kopf gesenkt.
»Keine Schüsse?«
»Doch.«
»Wann?«
»Vorher.«
»Vorher?«
»Na und?«
»Wieviel Zeit verging zwischen den Schüssen und dem großen Knall?«
»Weiß nicht. Hab keine Uhr.«
»Fünf Minuten, halbe Stunde, Stunde?«
»Zehn Minuten.«
»Sind Sie sicher?«
»Haben Sie, was Sie wollen? Ist schon lange Feierabend.«
Langsam schob sie die Scheibe zu.
»Kannten Sie Herrn Böllig?«
Ein paar Zentimeter fehlten noch. Sie stockte. »Das kann man wohl sagen.«
Das Fenster war zu. Ihr Schatten kroch durch die Hintertür hinaus. Ich zündete mir eine Zigarette an, schlürfte vom Asbach und trottete zu Riebls Golf. Direkt dahinter stand ein Renault fünf. Ich stieg in den Golf und fuhr den Weg hinunter zur Hauptstraße. Kurz vor der Autobahnauffahrt war der Renault hinter mir. Ich bremste und ließ ihn herankommen. Außer dem Fahrer war keiner im Wagen. Auf der Autobahn überholte ich vier Laster,
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