Mehr Bier
machte mich an die Akten der Angeklagten. Alle vier waren Mitte zwanzig und hatten schon früh begonnen, sich in unterschiedlichen Gruppen für oder gegen etwas zu engagieren, waren aber nicht weiter aufgefallen. Einer kam aus Doddelbach, die anderen drei aus Frankfurt. Ich schrieb mir auch hier die Adressen auf. Nach ihren Aussagen hatten sie die Nase voll gehabt, in leeren Fußgängerzonen Flugblätter zu verteilen, die ohnehin keiner las. Dann kam die Idee vom Knall, der die Leute wachrüttelt, und sie besorgten sich bei einem Chemiestudenten Sprengstoff. Auf die Frage nach dem fünften Mann verweigerten sie jede Aussage. Als sie am Morgen nach dem Anschlag von dem Toten hörten, wollten sie alle nach Griechenland abhauen. Nach langer Diskussion gaben sie diese Idee auf und warteten ab. Drei Tage später kam die Polizei. Nach Killern sah das nicht aus.
»Noch ein Bier?«
»Danke. Hat einer Ihrer Mandanten genauer beschrieben, wie ihnen das Ding bei Böllig in den Sinn kam?«
»Nein.«
»Einer muß doch drauf gekommen sein.«
»Sie sagen, sie hätten das gemeinsam entwickelt.«
»Entwickelt! Unsinn. Ich muß mit denen reden.«
»Das wollen die unter keinen Umständen.«
»Dann lassen Sie sich was einfallen. Sie sind der Anwalt. Machen Sie Druck. Wie soll ich denn arbeiten?«
»Tut mir leid, Herr Kayankaya, ich möchte das Verhältnis zu meinen Mandanten nicht belasten. Das müssen Sie verstehen.«
»Die riskieren fünfzehn Jahre, und Sie reden von Verhältnissen. Wenn die Leute wegen Mord sitzen, können Sie sich Ihr zwischenmenschliches Trallala sonstwohin schieben. Wieso kam die Polizei so schnell dahinter, wer bei Böllig rumgeballert hat? Da muß jemand gesungen haben. Und wenn denen das klar wird, dann werden sie diesen jemand verraten. Oder es sind Idioten. Wenn es aber keine Idioten sind, und sie trotzdem nicht auspacken, brauche ich hier nicht weiter den klugen Detektiv zu spielen. Dann haben sie Böllig selber umgelegt. Logisch?« Anastas stand im Zimmer herum und zog die Stirn hoch.
»Vielleicht haben Sie recht. Ich hole Ihnen noch ein Bier.«
Ich sah die Reporterin an.
»Und was meinen Sie dazu? Sollen wir Unterschriften sammeln? Oder ein Flugblatt drucken? Hungerstreik ist auch nicht schlecht. Wir binden Anastas für eine Woche ans Rathaus.«
Sie lächelte. Ein schönes Lächeln.
Es klingelte. Wenig später kam Anastas zurück mit einem jungen Mann in Jeans und Sportjacke. Hinterher tappte ein X-beiniges Blondchen ohne Hintern. Beide führten sich auf, als seien sie das erste Mal nach neun außer Haus. Wir gaben uns die Hand, und Anastas sprach einleitende Worte. Alf Düli und Anita Weiß waren seit einem Jahr verlobt und wollten nächsten Sommer heiraten. Alf Düli war dabei, seine Lehre als Bankkaufmann abzuschließen. Er stellte seine Freundin ans Fenster, setzte sich in einen Ledersessel mir gegenüber, lehnte sich vor und strahlte mich an. Ich bat Anastas und Carla Reedermann, uns alleine zu lassen.
»In der Nacht vom zweiundzwanzigsten auf den dreiundzwanzigsten April haben Sie auf dem Fabrikgelände der Firma Böllig gezeltet.«
»Daneben. Nicht auf dem Fabrikgelände, sondern daneben.«
»Na schön, am See. Erzählen Sie, wie das war.«
Ich hörte mir an, daß Alf Dülis Eltern vor langer Zeit den See entdeckt hätten, daß man auch ohne Trauschein zusammen zelten könne, und wie viele Konservenbüchsen in einen Golf passen. Dann unterbrach ich.
»Herr Düli, wovon sind Sie in der Nacht aufgewacht?«
»… tja, da war die Explosion…«
»Keine Schüsse?«
»Na klar doch.«
»Vorher oder nachher?«
»Na… ähm, etwa gleichzeitig… besser gesagt danach. Der Böllig kam ja dann erst angerannt, was?«
»Ich frage, ob und wann Sie die Schüsse gehört haben, nicht, was Sie vermuten.«
»Also, so ganz sicher bin ich mir da nicht, aber logischerweise…«
Ich drehte mich zu dem Blondchen.
»Und Sie?«
»Ich kann mich nur an die Explosion erinnern.«
»Aber Anita…«
»Bitte! Also, Frau Anita, keine Schüsse?«
»Ich hab keine gehört.«
»Was haben Sie nach der Explosion gemacht?«
Düli ballte die Faust: »Ich hab mein Messer genommen und bin gleich…«
»Ich meinte Ihre Freundin.«
Das Pfadfinderlächeln erstarrte. Er lehnte sich zurück und malmte beleidigt mit den Zähnen.
»Also, der Alf ist raus und ich hinterher. Wir haben die vier gerade noch weglaufen sehen.«
»Die vier? Wieso nicht fünf?«
»Doch. Kurz danach rannte noch einer übers Feld.« Ich
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