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Helena Parrish war schick, aber dezent. Sie trug einen marineblauen Filzhut, ein marineblaues Mollie-Parnis-Kostüm und marineblaue halbhohe Kalbslederschuhe von Magnin’s mit T-förmigen Ristriemchen. Sie wirkte auf Frannie wie eine jener Frauen, die unter gar keinen Umständen einen der Reisevorträge ausließen, die jeden Mittwochabend im Century Club gehalten wurden.
»Noch etwas Tee?« fragte Frannie, die zu gern gewußt hätte, bei welchem Friseur sich ihr Gast so schöne Strähnchen hatte färben lassen.
»Nein, danke«, antwortete Helena Parrish lächelnd und tupfte sich mit einer Leinenserviette die Lippen ab.
»Whiskytrüffel?«
»Danke, nein. Obwohl sie sehr verführerisch aussehen. Aber, dürfte ich Sie vielleicht Frannie nennen?«
»Natürlich.«
»Wieviel wissen Sie über Pinus, Frannie?«
Die Gastgeberin wurde rot, fühlte sie sich doch völlig überrumpelt durch diese abrupte Annäherung an das Thema. »Oh … Na ja, das meiste kenne ich wohl nur vom Hörensagen.« Diskretion schien Frannie das Gebot der Stunde zu sein. Sollte Helena doch das Gespräch bestreiten.
Frannies Gast nickte würdevoll. »Wir sind der Ansicht, daß Mundpropaganda unser bester Schutz ist.« Sie zeigte ein dünnes Lächeln. »Die unterschiedliche Behandlung von Personen ist in der heutigen Zeit ja in Verruf geraten, nicht?«
»Ist es nicht schrecklich?«
»Wir ziehen es vor, unser Verfahren als Qualitätskontrolle anzusehen. Außerdem wirkt es sich natürlich positiv aus, wenn kaum Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Wir sind dann viel eher in der Lage, die Bedürfnisse unserer Mitglieder zu … befriedigen.«
»Ich verstehe.«
»Neben den gesellschaftlichen Voraussetzungen ist für eine Mitgliedschaft nur noch eine Bedingung zu erfüllen – der Abschluß des sechzigsten Lebensjahres.« Die letzten beiden Worte sagte sie fast im Flüsterton, als müßte sie sich für das peinliche, wenn auch notwendige Eindringen in Frannies Privatsphäre entschuldigen.
Frannies Lächeln wirkte etwas verlegen. »Ihr Timing ist beinahe perfekt.«
»Ich weiß«, entgegnete Helena.
»Vita?«
Helena nickte und fuhr fort: »Unsere Philosophie ist die, daß Frauen wie wir in ihrem reiferen Stadium einen Anspruch darauf haben, ihren ganz eigenen Lebensstil zu entwickeln, solange sie ihn sich leisten können. Schließlich haben wir vierzig Jahre die Spielregeln befolgt. Wir haben Kinder aufgezogen, unsere Ehemänner ertragen, sind in den richtigen Clubs Mitglied geworden und haben die richtigen Wohlfahrtseinrichtungen unterstützt.« Sie beugte sich vor und schaute Frannie direkt in die Augen. »Wir schulden niemandem etwas, Frannie, und wir werden den Rest unserer Tage nicht damit vertrödeln, daß wir so geduldig vor uns hin leiden wie Mary Worth!«
Frannie war wie hypnotisiert. Helena Parrish bekam allmählich die Aura eines Gurus.
»Natürlich gibt es noch andere Möglichkeiten. Pinus ist nicht die einzige Lösung. Aber es ist die einzig befriedigende. Und wenn wir das Geld dafür haben, warum sollten wir es dann für Face-liftings, Fettabsaugen und Jugendlichkeitsspritzen verschwenden?«
»Glücklicherweise«, fuhr Helena fort, »können Leute wie wir es uns leisten, dieser Art … Luxus zu frönen. Was sollte daran auch falsch sein? Was ist falsch daran, wenn wir uns von der Torte, die Vergnügen heißt, das uns zustehende Stück abschneiden?«
Helena reichte Frannie eine Broschüre. Sie war in brauner Farbe auf schwerem cremefarbenen Bütten mit handgerissenen Kanten gedruckt. Und sie enthielt natürlich keine Bilder.
Pinus
Für Damen, die sechzig sind – und bereit.
Bei Pinus, das in die sanften Hügel von Sonoma einge bettet liegt, handelt es sich zweifellos um das bemerkenswerteste Refugium seiner Art auf der ganzen Welt. Refugium ist allerdings ein schlecht gewählter Begriff, denn Pinus ist eine Lebensart. Pinus ist ein Flug der Phantasie, ein Idyll für gereifte Frauen, ein Traum von uferloser Hemmungslosigkeit. Sobald Sie Ihre erste Erfahrung mit Pinus gemacht haben, ist nichts mehr annähernd so wie zuvor.
»Ich werde sie Ihnen dalassen«, sagte Helena sanft. »Ich bin sicher, daß Sie sich noch alleine damit beschäftigen möchten.«
»Ja. Danke.«
»Wie Sie vielleicht wissen, Frannie, hängt die Aufnahme letztlich von unserem Verwaltungsrat ab. In Ihrem Fall bin ich allerdings überzeugt, daß es keinen Grund gibt für irgendwelche …« Sie beendete den Satz mit einer angedeutet
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