Mehr Stadtgeschichten
wegwerfenden Handbewegung. Frannies gesellschaftliche Eignung hatte nie in Frage gestanden.
»Die Entscheidung liegt jetzt bei Ihnen, Frannie. Wenn Sie das Gefühl haben, daß Sie bereit sind, dann rufen Sie mich bitte bei Pinus an. Die Nummer finden Sie in der Broschüre.«
»Danke. Äh … Helena, wann würde ich … Wie bald?«
»An Ihrem Geburtstag, wenn Sie möchten.« Die Besucherin schenkte ihr ein herzliches Lächeln. »Wir warten dann sogar mit einem ganz besonders interessanten Kuchen auf.«
»Oh, was für ein Spaß.«
»Ja«, sagte Helena. »Dafür wird es auch Zeit, nicht?«
Die doppelte Mona
Mona hätte niemals erwartet, daß sie in einem Haus mit zehn Schlafzimmern dem größten Schrecken ausgerechnet in der Küche begegnen würde. Doch da stand sie nun – starr vor Angst – und las ihren eigenen Namen auf dem Vorsatzblatt eines Kochbuchs.
Ihren eigenen Namen! Warum? Warum?
Sie ließ das Buch fallen und stürzte sich auf die anderen, obwohl sie schon sicher war, was sie darin finden würde. Mona Ramsey … Mona Ramsey … Mona Ramsey! Jedesmal in derselben primitiven, krakeligen Handschrift eines Kindes – oder vielleicht einer erwachsenen Person, die kaum schreiben konnte.
Ein Flashback. Das war’s. Das war der LSD-Flashback, vor dem man sie immer gewarnt hatte. Sie sank leise stöhnend auf einen Stuhl und wartete gottergeben darauf, daß große purpurrote Raupen aus den Abflußrohren der Spüle kriechen würden.
Minuten verstrichen. Keine Raupen. Nur das durchdringende Winseln des Wüstenwinds aus der Ferne und das beharrliche Tropfen des Wasserhahns. Im Gesellschaftszimmer lachte ein Fernfahrer dröhnend mit Marnie, die mit ihrem blechernen Modesto-Akzent in einem fort verlangte: »Sag mir was Dreckiges! Sag mir was Dreckiges!«
Mona stand mit wackeligen Knien auf, ging an die Spüle und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Sie trocknete sich mit einem JFK-Bobby-Kennedy-Martin-Luther-King-Geschirrtuch ab und taumelte durch die Hintertür in die Dunkelheit hinaus.
Vom Haupthaus her zählte sie die Türen, bis sie endlich vor ihrer eigenen stand.
Das Licht war noch immer an.
Bobbi schaute lächelnd hoch. »Keine Milch da, hmh?«
»Nein.«
»Ich glaub, in der Bar stehen noch ein paar Flaschen Dr. Peppers, wenn du … Judy, was ist denn?«
»Keine Ahnung.« Mona sank auf die Bettkante nieder und starrte mit glasigem Blick auf den Autograph Hound, den die vorherige Bewohnerin des Zimmers auf der Frisierkommode zurückgelassen hatte.
»Bobbi … Wie heiße ich?«
»Hmh?«
»Wie heiße ich?«
»Bist du …?«
»Bitte, gib mir eine Antwort.«
»Du heißt Judy.«
»Und weiter?«
»Keine Ahnung. Das hast du mir nie gesagt.«
»Wenn ich … Wenn ich anders heißen würde, und du wüßtest das, würdest du es mir dann sagen? Oder würdest du mich damit aufziehen, Bobbi? Meinst du, Charlene würde …?« Sie konnte nicht weiterreden. Es hörte sich alles so paranoid an. Wenn Charlene sie mit ihrem richtigen Namen quälen wollte, warum sollte sie ihn dann in ein Kochbuch schreiben?
Bobbi lächelte nachsichtig. »Von uns haben doch viele ’nen falschen Namen, Judy. Marnie heißt in Wirklichkeit Esther. Mir is das doch piepegal, ob du anders …«
»Wie lang arbeitest du hier schon, Bobbi?«
»Mit Unterbrechungen?«
Gab es eine andere Möglichkeit, in einem Puff zu arbeiten? »Ja.«
»Ach, na ja … drei Jahre.«
»Das heißt, du kennst etliche von den Mädchen, die hier durchgelaufen sind, stimmt’s?«
»Klar.« Bobbi hatte plötzlich begriffen, daß sie verhört wurde. Sie steckte sich einen Streifen Dentyne in den Mund und kaute in aller Ruhe darauf herum.
»Kannst du dich an eine erinnern, die Mona geheißen hat?«
Das Gekaue ging weiter. Wenn der Name bei Bobbi etwas ausgelöst hatte, war es ihrem Gesicht jedenfalls nicht anzusehen. »Mona, hmh?«
»Ja.«
Bobbi schüttelte träge den Kopf. »Nein. Nicht so auf Anhieb.«
»Denk nach, Bobbi. Bitte.«
»Weißt du ihren Nachnamen?«
»Ramsey. Mona Ramsey.«
Es dämmerte. Bobbi kicherte über ihre eigene Dummheit.
»Ach je!« entfuhr es ihr. »Wir nennen sie nie so!«
»Wen, Bobbi?«
»Mother Mucca.«
»Mother Mucca?«
»Klar. Mona Ramsey ist der richtige Name von Mother Mucca.«
Minuten später, als Bobbi gegangen war, saß Mona alleine da und dachte über ihre zunehmende Paranoia nach. Sie hatte sich nicht mehr so konfus und verängstigt gefühlt – so restlos verlassen –, seit bekannt geworden war,
Weitere Kostenlose Bücher