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Los, leg dich ins Zeug.«
Frannie war gehemmt. »Ach, Helena!«
»Los! Du bist jetzt in Pinus.«
»Jetzt gleich? Im Auto?«
»Jetzt und immer dann, wenn du Lust dazu hast, mein Schatz.«
Frannie grinste verlegen, steckte dann den Kopf zum Fenster hinaus und gab ein Geräusch von sich, das wie: »Eeeeeiiiiiii!« klang.
»Ganz hübsch«, sagte Helena wenig begeistert, »aber du janest nicht, mein Schatz.«
»Wie soll ich denn sonst …?«
»So.«
Die Gastgeberin reckte ihren Schwanenhals und sperrte den Mund auf, so weit es nur ging. »Aaaahhhhaaaahhhheeeeaaaahhhh!«
Irgendwo aus den Tiefen des Pinienwalds hallte das gleiche Geräusch zurück.
»Ein Echo!« rief Frannie.
»Nein«, sagte Helena lächelnd. »Sybil Manigault. Sie steht auf Natur.«
Die Gastgeberin parkte vor dem Empfangsgebäude, einem weitläufigen Bauwerk im Chaletstil mit bleigefaßten Fensterscheiben. Am dunklen Holz der Dachvorsprünge rankten sich Lady-Banksia-Rosen entlang.
Frannie schnalzte bewundernd mit der Zunge. »Großartig … Absolut großartig.«
»Die Wohngebäude sind im gleichen Stil erbaut. Die Pläne stammen von Julia Morgan – vielleicht ihr größter Wurf.«
»Unglaublich! Edgar war von Julia Morgans Architektur fasziniert, aber von diesen Bauten habe ich nie auch nur ein Wort gehört.«
»Natürlich nicht. Die Morgan mußte sich Pinus gegenüber vertraglich verpflichten, über ihre Arbeit hier Stillschweigen zu bewahren. Die Gründerinnen hatten ursprünglich Bernard Maybeck als Architekten unter Vertrag genommen, aber er trat davon zurück, als er herausfand … Na ja, du weißt schon.«
Helena führte Frannie in das großzügige Innere des Hauses und gestattete dem Neuankömmling, die Atmosphäre in aller Ruhe auf sich wirken zu lassen: die Lampen mit den Pergamentschirmen, die altrosa Samtbezüge, die Kupferkessel voller Wiesenblumen.
»Ich komme mir richtig komisch vor ohne Gepäck«, sagte Frannie.
»Warum? Alles, was du brauchst, ist hier. In zwei Tagen wirst du dich nur unter größten Schmerzen von deinem Kaftan trennen können.«
»Wo sind die anderen alle?«
Helena kicherte. »Sie haben sich wahrscheinlich versteckt.«
»Warum?«
»Ach, es ist eigentlich dumm. Im Prinzip wirst du ja erst morgen sechzig … Wann? Um halb acht oder so? Die anderen scheuen sich ein bißchen, mit einer Debütantin zu sprechen, bevor sie … eine von uns ist.«
»Und … was soll ich bis dahin tun?«
Helena legte Frannie ihren geschmeidigen Arm um die Schulter. »Ich denke, als erstes solltest du gleich noch eine Vitamin Q nehmen. Als zweites schlage ich vor, daß du dich ein bißchen mit Birdsong unterhältst.«
»Mit wem?«
Helena zwinkerte ihr zu. »Komm mit.«
Drei Minuten später stieß die Gastgeberin die Tür zu Frannies Wohnhaus auf. Ein junger Mann, der auf der Bettkante gesessen hatte, sprang hoch. Frannie schätzte ihn auf ungefähr vierundzwanzig. Er war schlank, hatte schwarze Locken und erstaunlich blaue Augen. Er trug einen Frotteejumpsuit in Altrosa, dessen Reißverschluß bis zur Taille offen war.
Und er war sichtlich nervös. »Tut mir leid, Mrs. Parrish. Ich wollte nicht …«
»Das macht doch nichts, Birdsong. Du wußtest nicht, daß wir unterwegs waren. Das ist Mrs. Halcyon.«
Birdsong nickte zaghaft. »Hallo.«
»Wie geht es Ihnen?«
»Birdsong ist dein Hausboy«, erklärte Helena. »Er kann dich über alles informieren. Ich muß mich jetzt um deine kleine Festivität von morgen kümmern, deshalb … Tschautschau!« Sie war blitzschnell zur Tür draußen. Frannie stand allein gelassen da und lächelte Birdsong verlegen an.
»Tja«, sagte der Hausboy, der auf einmal sehr viel selbstsicherer war. »Ich glaube, es ist Zeit für unser Bad.«
Helena Parrish stand draußen in der Sonoma-Sonne und janete, was ihre Lungen hergaben.
Vom Umgang mit Kranken
Als Michael im St. Sebastian’s Hospital aufwachte, saß Jon neben seinem Bett. Er hatte einen Topf Chrysanthemen dabei, drei ältere Ausgaben der Playgirl und etwas in einem braunen Papierbeutel.
»Du solltest dich selber sehen«, sagte Michael lächelnd. »Die klassische Wichsphantasie einer jeden Tunte.«
Jon zwinkerte ihm zu. »Wie fühlst du dich?«
»Jeden Tag ein Stückchen weniger. Aber das gehört wohl dazu, was?«
»Sicher. Die Lähmung … wandert immer nach oben. Michael … es wird erst mal schlimmer, bevor es wieder besser wird.«
»Schon verstanden.«
»Bist du … Spürst du, wie sie wandert?«
»Ja, ich glaube
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