Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
(stets interessant warm, wenn man daranfasste) .
Der Register war stolz auf diesen Globus. Wenn ich mich recht erinnere, war es einer der größten Globen derWelt. Offenbar sind große Globen nicht leicht herzustellen. Der hier war mindestens doppelt so groß wie ich und wunderschön gearbeitet und bemalt. Er war im wissenschaftlich korrekten Winkel auf die Achse gestellt und bewegte sich im Tempo der Erde, vollendete also alle 24 Stunden eine Umdrehung. Kurzum, er war großartig, phänomenal, das feinste technische Wunderwerk in Des Moines außer den radioaktiven Toilettensitzen in Bishop’s Cafeteria, die natürlich eine Klasse für sich waren. Weil der Globus so groß und stattlich und real war, hatte man sehr das Gefühl, als schaue man die echte Erde an, und ich wanderte darum herum und stellte mir vor, ich sei Gott. Selbst wenn ich heute an die Staaten der Erde denke, sehe ich sie mit den Namen vor mir, die sie auf der großen Kugel trugen – Tanganjika, Rhodesien, Ost- und Westdeutschland, die Freundschaftsinseln. Der Globus hatte sicher auch noch andere Fans außer mir, doch ich habe nie jemanden daran vorübergehen gesehen, der ihn auch nur eines Blickes gewürdigt hätte.
Exakt um 17.30 Uhr fuhr ich mit einem Lift hinauf in die Nachrichtenredaktion im dritten Stock – einer derart prototypischen Nachrichtenredaktion, dass sie sogar eine Schwingtür hatte, durch die man mit keckem Schwung hereinstürmen konnte wie Rosalind Russell in Sein Mädchen für besondere Fälle. Danach lief ich durch die Sportredaktion (mit einem jovialen »Hallo« für die Jungs dort – schließlich waren sie die Kollegen meines Vaters), an den ratternden Nachrichtentickern vorbei und meldete mich dann bei meiner Mutter an ihrem Schreibtisch in der direkt daran anschließenden Frauenredaktion. Ich sehe meine Mutter immer noch genau vor mir, wie sie, mit ein wenig verrutschter Frisur, an einem grauen Metallschreibtisch sitzt und auf ihre Schreibmaschine einhämmert, eine altehrwürdige Smith Corona. Ich gäbe alles – wirklich fast alles! –, wenn ich noch einmal durch die Schwingtür gehen, die Jungs in der Sportredaktion und dahinter meine liebe alte Mom an ihrem Schreibtisch dahertippen sehen könnte.
Von meiner Ankunft war sie immer gleichermaßen erfreut und überrascht. »Nanu, Billy, hallo! Meine Güte, ist Freitag?«, sagte sie, als hätten wir uns seit Wochen nicht gesehen.
»Ja, Mom.«
»Na, was hältst du davon, wenn wir erst zu Bishop’s und dann ins Kino gehen?«
»Das wär toll.«
Wir speisten also ruhig und zufrieden bei Bishop’s und schlenderten danach zu einem der drei großen, altehrwürdigen Filmpaläste in der Innenstadt – dem Paramount, dem Des Moines oder dem RKO-Orpheum –, riesigen, gespenstisch beleuchteten Krypten, aufwändig in einem Stil dekoriert, der an die Blütezeit des alten Ägypten erinnerte. Im Paramount und im Des Moines fanden jeweils 1600 Menschen Platz, im Orpheum kaum weniger, doch Ende der 1950er waren selten mehr als 30 oder 40 bei einer Vorstellung. Es gab nie (und wird es auch nie wieder geben) einen schöneren Ort, um einen Freitagabend zu verbringen. Mit einem Bottich Butterpopcorn saß man in Tausenden Kubikmetern Dunkelheit vor einer Leinwand, die so riesig war, dass man die Titel von Büchern in Bücherschränken, die Daten auf Kalendern und die Nummernschilder vorbeifahrender Autos lesen konnte. Es war magisch.
Die Filme der Fünfziger waren von unerreichter Qualität. The Brain That Wouldn’t Die; Blob, Schrecken ohne Namen; The Man from Planet X; Fliegende Untertassen greifen an; Zombies of the Stratosphere; Der Koloss; Die Dämonischen oder Die Unglaubliche Geschichte des Mr. C – womit nur ein paar der genialen Schöpfungen dieses grenzenlos einfallsreichen Jahrzehnts genannt wären. Aber ach, meine Mutter und ich gingen in diese Filme natürlich nie. Wir sahen stattdessen Melodramen, in denen im Allgemeinen Mimen aus den unteren bis mittleren Chargen des Staraufgebots die Hauptrollen spielten – Richard Conte, Lizabeth Scott, Lana Turner, Dan Duryea, Jeff Chandler. Ich selbst verstand den Reiz dieser Filme nicht. Es war alles nur endloses Geschwafel in dieser düster ernsten, vorwurfsvollen Art, die die Leute in den Filmen der Fünfziger an sich hatten. Sie drehten sich zum Beispiel beim Sprechen fast immer weg, so dass sie aus unerfindlichen Gründen mit einem Bücherschrank oder einer Bodenlampe zu kommunizieren schienen, nicht aber mit der Person, die
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