Mein bestes Stuck
senkte seine Stimme. »Ich war gestern so wütend auf dich.«
»Das habe ich bemerkt«, erwiderte Julia.
»Du hättest es mir sagen müssen!«
»Wirklich?« Julia beugte sich vor. »Hättest du das gestern
wirklich hören wollen? Ein Mädchen, das du gerade erst kennengelernt hast, rechtfertigt sich vor dir und lädt die ganze Schuld auf einen älteren Mann ab, den du auch kaum kennst? Dadurch hätte ich mich vielleicht besser gefühlt, aber für dich hätte es im Moment keinen Unterschied gemacht, oder?«
»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Ich kann es wirklich nicht sagen. Aber ich muss es unbedingt Simon erzählen …«
Julia nickte. »Das wäre nett. Ich hatte das Gefühl, dass er auch nicht gerade begeistert von mir war.« Doch dann dämmerte es ihr plötzlich, dass es ihr eigentlich nichts ausmachen sollte, ob Simon schlecht von ihr dachte oder nicht. Denn ab heute Abend würde sie Simon – und auch Luc – nie wiedersehen.
Sie verfielen erneut in Schweigen, doch diesmal fühlte es sich anders an. Lucs Feindseligkeit schien sich in Luft aufgelöst zu haben, und er war in Gedanken versunken. Marie-Louise kam, um die Teller abzuräumen. Julia sah, dass auch sie die veränderte Stimmung zwischen ihnen bemerkte.
Sie stellte das schmutzige Geschirr auf einem kleinen Beistelltisch ab und ließ sich auf den Stuhl fallen, auf dem Onkel Quinn zuvor gesessen hatte. »Was für ein Tag! Diese schwüle Hitze bringt mich noch mal um.«
Luc überhörte ihre Bemerkung und wandte sich erneut an Julia. »Du hast das Weingut noch gar nicht gesehen, oder?«
Julia zuckte leicht mit den Schultern und wies mit dem Kopf auf das Tal. »Ich habe das da gesehen«, sagte sie. »Und es sieht wunderschön aus.«
»Da gibt es noch jede Menge mehr zu sehen!«, meinte Luc und erhob sich von seinem Stuhl. »Komm, ich führe dich herum.« Er rief zu Onkel Quinn hinüber: »Wir machen einen Rundgang über das Weingut. Begleiten Sie uns?«
Onkel Quinn senkte seine Zeitung, dachte kurz nach und stand dann gemächlich auf.
»Wisst ihr was«, sagte er und gähnte. »Ich denke, ich werde nach oben gehen und mir ausgiebig die Zähne putzen! Ich kann euch sagen, frische Feigen sind ja schön und gut, aber diese kleinen, klebrigen Kerne sind ein wahres Waterloo fürs Gebiss. Bis später, Kinder.«
Luc wandte sich an Julia. »Wollen wir?«
Doch sie zögerte. Sie wusste genau, welche Motivation ihn antrieb. Ganz offensichtlich war sein Vorschlag ein unbeholfener Versuch, sein gestriges Verhalten wiedergutzumachen, weil er sich schuldig fühlte. Doch was spielte das noch für eine Rolle? Sie würde bald abreisen, und er hatte eine Beerdigung zu organisieren. Vermutlich wäre er sie immer noch am liebsten so schnell wie möglich los.
»Bemüh dich nicht, Luc. Du hast sicher viel zu tun. Vielleicht drehe ich nachher noch eine Runde, nachdem ich gepackt habe …«
»Julia! Es ist noch früh am Tag. Packen kannst du später.«
»Bist du sicher, dass du nichts Wichtigeres zu tun hast?« Sie mochte es, wenn er ihren Namen sagte. Und sie war sehr neugierig darauf, das Weingut zu besichtigen.
»Luc«, mischte sich Marie-Louise ein, noch ehe er antworten konnte. »Du hast so viele Anrufe zu erledigen. Ich kann Julia doch herumführen.«
Zu Julias großer Erleichterung schüttelte Luc den Kopf. »Ich möchte es gern selbst tun, Marie-Louise, aber vielen Dank für den Vorschlag.«
Als sie Seite an Seite langsam den Weinberg entlangschlenderten, kam zu Julias Freude wieder jener Luc zum Vorschein, der sie zwei Abende zuvor empfangen hatte. Er war charmant, zurückhaltend, aber trotzdem interessiert daran, was sie zu sagen hatte. Julia merkte, wie sie sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in seiner Gegenwart entspannte – seit dem Moment, als sie zusammen musiziert hatten. Ganz offensichtlich war Luc sehr stolz auf die Weinberge von Château Deschanel, und warum sollte er das auch nicht sein? In Julias Augen wirkte der Anbau absolut perfekt. Reihe um Reihe sorgfältig aufgestellte Reben, schwere, reife Früchte, alles über Generationen hinweg liebevoll gepflegt.
»Wir ernten verschiedene Sorten zu unterschiedlichen Zeiten«, erklärte Luc. »Es hängt ganz von der Art der Traube ab, und davon, wie trocken oder lieblich das Endprodukt sein soll.«
»Es ist also nicht einfach nur Glück?« Julia war fasziniert. Sie hatte im Fernsehen schon einige Male Sendungen über die Herstellung von Wein gesehen, doch nichts hatte auf diese sinnliche
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