Mein Bild sagt mehr als deine Worte
Fotos, klickte mich durch alle ihre Freunde und Freundinnen.
Kein Wiedererkennungseffekt.
Keine Ähnlichkeiten.
Sie kannte mich, aber ich kannte sie nicht.
Dann hab ich etwas Dummes getan. Ich hab nicht groß nachgedacht. Ich hab es einfach getan.
Ich habe Alex/Sparrow eine Nachricht geschickt.
11 N
Woher kennst du Ariel?
11 O
Es war bereits Morgen. Zumindest da, wo ich war.
In Kalifornien schlief Alex/Sparrow mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch. Und verschob mit seinen Träumen alle meine Antworten auf später.
12
Am nächsten Morgen wartete ich mit Ausdrucken in der Hand auf Jack.
Er wirkte genervt, als er mich da im Raucherbereich hinter der Schule stehen sah. Um Erlaubnis fragend blickte er kurz zu mir und zündete sich dann eine Zigarette an. Bis dahin war noch kein Wort zwischen uns gefallen.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragte er.
Ich überlegte, wie wohl alles verlaufen wäre, wenn wir uns vorher schon so gut gekannt hätten. Bevor du total aus der Spur geraten bist. Hätten wir dich aufhalten können, wenn wir darüber geredet hätten?
»Ich glaub, ich weiß jetzt, wer die Fotos gemacht hat«, sagte ich.
Ich hielt ihm die ausgedruckten Bilder hin.
»Wer ist sie?«, fragte er.
»Keine Ahnung.«
Er sah mich streng an. »Hast du nicht gerade gesagt, du weißt es?«
»Ich weiß jetzt, wie sie aussieht. Da. Kennst du sie?«
»Kommt mir bekannt vor.« Er musterte das Foto noch einmal genauer. »Aber ich könnte dir nicht sagen, wo ich sie schon mal gesehen habe. Vielleicht geht sie auf unsere Schule. Aber vielleicht erinnert sie mich auch nur an jemanden.«
Ich musste an ein Mengendiagramm denken, an zwei sich überschneidende Kreise. Und wie die Formulierung »Du erinnerst mich an jemanden« bei einer ersten Begegnung die Schnittmenge darstellt. Den gemeinsamen Bereich, das Teilstück, das wir sehen können.
»Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen«, sagte ich. »Ich hab am Computer gehockt und mich durch ihr Profil geklickt. Hab nach Sparrow und diesem Mädchen gesucht.«
»Ich weiß nicht, wer sie ist«, sagte Jack und gab mir das Foto zurück. »Tut mir leid.«
Auf einmal meinte ich: »Wär echt gut, wenn sie eine Schwester hätte.«
»Hä?«
Keine Ahnung, warum ich dachte, Jack würde mich verstehen. Das passierte mir oft. Zu glauben, er müsste dieselben Gedanken haben wie ich, nur weil wir dich beide geliebt haben.
»Wenn Ariel eine Schwester hätte«, erklärte ich, »könnten wir sie fragen. Ihr die Fotos zeigen. Denn bei ihren Eltern geht das nicht. Sie hassen uns.«
»Ich glaube nicht, dass sie –«
»Doch, Jack, das tun sie. Sie hassen uns.«
In der Woche danach sind wir zu ihnen gegangen. Um von ihnen selbst zu hören, wie es um dich stand, statt auf Gerüchte und irgendwelchen Klatsch angewiesen zu sein. Sie baten uns herein, aber es war deutlich zu spüren, dass es ihnen schwerfiel. Sie teilten uns mit, was die Ärzte gesagt hatten. Es bestätigte unsere Befürchtungen.
Jack trat seine Zigarette aus und legte mir die Hand auf die Schulter.
»Verrenn dich da bloß nicht in was, Ev. Wir wissen noch nicht mal, ob es wirklich das Mädchen ist, von dem wir die Fotos bekommen haben. Und wenn die beiden für Ariel echt wichtig gewesen wären, glaubst du nicht, dass wir das dann mitgekriegt hätten? Sie hätte uns doch von ihnen erzählt.«
Dass er von uns und wir sprach, beruhigte mich etwas. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit.
Mit dir war es mir genauso ergangen. Wenn du die Wörter wir und uns benutzt hast, hatte ich immer das Gefühl, dass das Leben nicht ganz so sinnlos war. Dass wir durch alles zusammen gingen. Und wenn ich es mit dir durchstehen konnte, dann konnte ich dich auch mitziehen. Erst als du dann ganz in deine eigene Welt, deine eigene Verlorenheit, dein eigenes Ich abgedriftet bist, wurde alles zu kompliziert für mich, fühlte ich mich davon erdrückt.
»Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, Evan.«
»Ich sehe überall Rot. Es ist … es ist einfach überall.«
»Ich bin jetzt unter Wasser. Das verstehst du nicht. Ich bin unter Wasser.«
»Ich brauche eine Pistole.«
»Evan? Ich brauche –«
»Evan?«
Jack wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht hin und her.
»Evan.«
»Ja?«
»Mach das bloß nicht!« Er war richtig wütend. »Du nicht auch noch, okay? Nicht auch noch du.«
Wir standen einen Augenblick stumm da, weil keiner von uns beiden wusste, was er jetzt sagen sollte. Wie früher. Dann fragte eine
Weitere Kostenlose Bücher