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Mein Bild sagt mehr als deine Worte

Mein Bild sagt mehr als deine Worte

Titel: Mein Bild sagt mehr als deine Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Levithan
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ganzes Leben lang, würde ich dann für immer derselbe bleiben?
    »Woran denkst du gerade, Evan?«
    Ich sagte es ihm.
    Alle deine Ichs, alle meine Ichs. Fraktale. Facetten. Risse und Brüche.
    »Ich wüsste gerne, wer sie jetzt ist«, sagte ich.
    »Ich auch«, sagte Jack. »Das frage ich mich die ganze Zeit.«

18
    Ich versprach Jack, mich nicht auf die Suche nach dem Feld zu machen. Ich versprach ihm, dass ich nicht dorthin gehen würde. Ich versprach ihm, der Knipserin mit nichts als Schweigen zu antworten.
    Und diesmal habe ich mein Versprechen gehalten.

18 A
    Ich unterhielt mich immer öfter und öfter mit dir. Erinnerte mich an Zeiten, in denen alles nicht so schwierig war. Fragte dich, wie es dir ging. Bat dich um Verzeihung, und sei es auch nur, damit du darauf antworten konntest, das sei doch gar nicht nötig.
    Du hast nie etwas geantwortet.

18 B
    glaubst du wirklich, du kannst mich einfach ignorieren?
    wenn du das glaubst, dann kennst du mich nicht.
    so wie du auch sie nicht gekannt hast.
    du glaubst, sie war schwach. aber ich weiß, dass sie
    stark und mutig war.
    ich hab sie verstanden. du nicht.
    ich bin ihr immer noch nahe. du nicht.

18 C
    ArielsRächerin musste zu dem Feld gegangen sein. Sie musste dort gewartet haben.
    Ich überlegte, ob es ein Foto von demselben Ort war, nur aus einer anderen Perspektive aufgenommen. Schärfer. Sodass alles besser zu erkennen war.
    Ich dachte darüber nach, ob ArielsRächerin sich für dich oder an dir rächen wollte.
    Ich schickte die Mail an Jack weiter, diesmal mit einem Kommentar:
    Ich gehe nicht hin.
    Er schrieb zurück:
    Gut.

18 D
    Meine Eltern wollten am Samstag einen Ausflug mit mir machen. Ich war einverstanden.
    Meine Mutter meinte, »ein kleiner Szenenwechsel« könnte mir nur guttun. Beim Wort »Szene« musste ich natürlich gleich an Bühne und Theater denken. Und während sie so mit mir durch die Gegend fuhren, kam ich mir auch wie in einem Theaterstück vor. Denn egal, wie sehr sich die Szenen um mich herum veränderten, es war trotzdem immer noch dasselbe Stück. Die Bühne war dieselbe wie vorher.
    Deinem Leben entkommst du nicht. Außer du beschließt, von der Bühne abzutreten.
    Meine Eltern fragten mich während der Fahrt nach der Schule. Nach meinen Freunden. Nach den Colleges, die ich mir ansehen wollte. Nach den Büchern, die ich gerade las. Und wie ich da so hinter ihnen im Auto saß, fühlte ich mich wieder, wie du dich gefühlt haben musst. Deine Eltern haben dir bestimmt dieselben Fragen gestellt. Haben es bestimmt genauso versucht. Haben genauso gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war. Und dachten bestimmt genauso wie meine, alles würde nur noch schlimmer werden, wenn man darüber redete. Deshalb versuchten sie, mit Alltagsthemen darüber hinwegzuplaudern. Es zu ersticken. Sie nahmen nur die eine Szene wahr, aber die Bühne hatten sie nicht im Blick.
    »Der Kreis schließt sich«, sagtest du.
    »Würde dir das gefallen?«, fragte meine Mutter.
    »Was?«, fragte ich.
    »Den Sommer über Rafting zu machen. Mal von hier wegzukommen.«
    »Lass uns über den Sommer reden, als gäbe es ihn für dich noch«, flüsterst du mir ins Ohr. Das war keine Erinnerung. Du hast es mir jetzt, in diesem Augenblick, ins Ohr geflüstert. »Aber wir beide, du und ich, wissen es besser. Auf den Sommer können wir gut verzichten, oder?«
    »Klingt super«, sagte ich.

18 E
    Ich stellte mir die Knipserin auf dem Feld vor. Wie sie auf mich wartete.
    Ich wusste, dass es richtig war, ihr aus dem Weg zu gehen. Ich wusste, dass wir so tun mussten, als würden wir sie gar nicht beachten. Als würden wir sie überhaupt nicht ernst nehmen.
    Aber ich malte mir aus, wie sie da auf dem Feld wartete. Und ich wusste, dass sie mir etwas zu sagen hatte. Etwas, das ich bestimmt nicht gern hören würde. Aber etwas, das ich trotzdem irgendwann von ihr zu hören bekommen würde, ob ich wollte oder nicht.
    Denn warum das alles sonst?
    Warum uns sonst so in die Enge treiben?
    Sie hatte uns etwas zu sagen.
    Du hattest mir etwas zu sagen.
    Es fühlte sich irgendwie gut an, mir vorzustellen, wie du sie da wartete. Mir vorzustellen, wie du sie sich fühlte, wenn die Sonne unterging und ich war nicht da. Mir dein ihr Foto mitten auf diesem Acker vorzustellen und wie es schließlich davongeweht wurde.
    Aber das gute Gefühl – wie immer, wenn man sich vor etwas drückt – hielt nicht lange an.
    Ich wusste, dass es sich nur um einen Aufschub handelte. Was geschehen musste, würde

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