Mein Boss, die Memme
Komplimente aus, bekommt er schlechte Laune. Wehe, man huldigt ihm nicht, dem Star der Business-Bühne. Aber auch die gröÃten Schleimbolzen unter meinen Kollegen müssen damit leben, dass sie, wie alle anderen, nie ein Lob zurückerhalten. Was wir selbstständig machen, ist in seinen Augen nie gut genug: Für ihn sind unsere Leistungen letztlich nur akzeptabel, wenn er persönlich Hand anlegt. Wenn es nicht seine Duftmarke trägt, kann es nicht gut sein. Und sei es nur ein Komma, nur ein Wort auf einer Folie, ein halber Satz in einem Konzept. Dann heiÃt es: »Jetzt passt es.« Weil er es passend gemacht hat. Vorher ist alles Müll, darauf weist er gern hin. Und viele von uns nicken pflichtschuldig.
Als er einmal ein ernsthaftes Problem mit der Schulung der Vertriebsleute hatte, setzte er mich darauf an. Ich fand eine Lösung. Das sah auch er ein, nachdem mein Schulungsprogramm erfolgreich getestet wurde. Daraufhin wollte er das Konzept der Bereichsleitung präsentieren. Ich sollte dabei sein, falls Fragen kämen. Er sei ja nicht in allen Details drin. Sieh an, dachte ich mir, das ist ja fast ein Lob.
Das Konzept kam hervorragend an. Ich war begeistert. Solange, bis er auf die Frage des Bereichsleiters, wer diese Idee denn entwickelt habe, ohne mit der Wimper zu zucken antwortete:
»Das hab ich am Wochenende so ausgearbeitet«. Dabei schien er um ein paar Zentimeter zu wachsen: Seine Schultern strafften sich, seine Nase hob sich noch ein Stück weiter gen Himmel, und er fixierte sein Publikum wie ein Tenor, der gerade die finale Arie in die Weite des Opernhauses geschmettert hat und darauf wartet, dass der Applaus aufbrandet.
Mir stockte der Atem. Er reklamierte alles für sich, ohne etwas beigetragen zu haben. Und das ohne einen Anflug von Scham. Ich schwieg betreten, obwohl ich am liebsten aufgeschrien hätte. Als wir später allein waren, stellte ich ihn zur Rede.
Der Mann fühlte sich ertappt. Er stammelte, dass er unbedingt bei seinem Chef punkten müsse. Demnächst hätte er ein Personalgespräch. Es täte ihm leid, aber der nächste Bonus sei ihm ungemein wichtig. Wegen persönlicher Verpflichtungen. Und so weiter. Was für eine jämmerliche Mitleidstour, dachte ich mir nur, aber ich lenkte ein. Es war das erste Mal, dass ich mir dachte: Mein Gott, vor mir sitzt auch nur ein Mensch. Und zwar ein ziemlich kleiner. Abseits der Bühne, hinter den Kulissen, sah er gar nicht mehr aus wie ein Star.
Ich hoffte, dass er es wieder gut machen, sich in Zukunft freundlicher verhalten würde. Da täuschte ich mich gewaltig. Wenige Tage später war seine Unsicherheit verflogen. Seitdem geht es weiter wie bisher. «
Axel R., Vertriebsmarketing-Berater
Empfinden Sie irgendeine Art Verständnis für diesen Chef? Ich nicht. An diesem Typ lässt sich nur schwerlich ein gutes Haar finden.
Er ist fies.
Er ist intrigant.
Er nutzt seine Mitarbeiter für die eigenen Ziele aus.
Und was tun wir Mitarbeiter? Wir suchen nach dem Notausgang.
Oder machen uns klar, dass dieser Ego-Shooter in Wahrheit eine Memme ist.
Was ihn dazu macht? Sein unstillbares Verlangen nach Anerkennung.
Hinter diesem Verlangen steht ein latentes Gefühl der Minderwertigkeit. Wie so vieles, das bei Menschen schief läuft, entsteht das bereits in der Kindheit. Durch Eltern etwa, die ihren Kindern nicht die Liebe geben, die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die sie brauchen, und damit eben auch nicht das Selbstwertgefühl. Hier könnten wir in die Tiefe gehen. Aber wollen wir das? Wollen wir am Ende für das fiese Verhalten dieser Typen auch noch eine individuelle Erklärung finden, die ihr Verhalten entschuldigt? Ich will es nicht.
Jeder von uns muss sein Päckchen tragen, ohne dass wir andere darunter leiden lassen.
Der Ego-Shooter aber tut genau das.
Stellen Sie sich diesen Menschen als jemanden vor, der ununterbrochen Nahrung zu sich nehmen muss, ohne jemals ein Gefühl der Sättigung erreichen zu können. Würde er nicht mit unserer Unterwürfigkeit und Anerkennung gefüttert werden, sein schwaches Ego würde bald qualvoll verhungern. So merkwürdig es auf den ersten Blick erscheinen mag, in Wirklichkeit hängt dieser Mensch am Tropf seiner Mitarbeiter und saugt sie aus. Für uns, die wir ihn erdulden müssen, lässt ihn das meist aber alles andere als schwach erscheinen. Im Gegenteil. Er wirkt auf den ersten Blick stark und
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