Mein digitales Ich
und meiner Stimmung. Zum Beispiel zwischen der Musik, die ich höre, und meinen neuen Ideen. Es ist, als würde ich in das Protokollbuch eines Labors schauen. Hier experimentiere ich mit mir. Ich stelle Überlegungen über das an, was ich als Wissenschaftler konkret mache und wie ich es mache, wenn ich lerne und lehre. Dabei forsche ich eigentlich nach den Bedingungen und Möglichkeiten dieses großen Gefühls von Euphorie, das mich zuweilen ergreift und mich in einen Flow versetzt, in dem ich mit den Menschen, den Dingen, den Gedanken und den Buchstaben schweben kann.« 11
Die Journalistin und Schriftstellerin Kathrin Passig beleuchtet das Thema Quantified Self aus kulturgeschichtlicher bzw. techniksoziologischer Perspektive. In ihrem in der Zeitschrift Merkur erschienenen Essay »Unsere Daten, unser Leben« 12 stellt sie die Bewegung faktenreich in einen technikgeschichtlichen Bezugsrahmen und spürt die verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungslinien auf, die ihres Erachtens im Selftracking zusammenlaufen.
So weist sie beispielsweise darauf hin, dass heute Techniken in den Privatbereich vordringen, die sich in den empirischen Wissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierten. Mit der »graphischen Methode« etwa begann man zu Helmholtz’ Zeiten (Hermann von Helmholtz, 1821–1894), »Körperfunktionen in Linien und damit in den physikalischen Horizont von Kraft, Weg und Zeit« zu übersetzen« 13 . In dieser »verwissenschaftlichten Selbstbeobachtung« sieht Passig einen »eigentlich überfälligen Schritt beim Verlagern externer Kontrollmechanismen in den privaten Aufgabenbereich«. Motor der Bewegung sei der »Wunsch nach Rationalisierung, Selbstdisziplinierung und Selbstoptimierung« – und dies eben ohne eine fremde kontrollierende Instanz –, aber auch eine genuin menschliche Begeisterung für »das Sichtbar- und Zählbarmachen des Unsichtbaren«.
Selbstverständlich bringt Passig auch die gängige Kritik an Quantified Self zur Sprache: »Zweifellos lenkt die Möglichkeit des Messens unsere Aufmerksamkeit auf das leicht Messbare, und das Gemessene wird sichtbarer, während andere, schwerer messbare Faktoren aus dem Blickfeld rücken.« Eine Verzerrung der Daten-Interpretation in Richtung Wunschdenken seisomit sehr wahrscheinlich, die daraufhin erfolgenden Verhaltensänderungen also durchaus opportunistisch: »Menschen werden ihr Verhalten ändern, um es leichter in Zahlen erfassen zu können, und sie werden lieber das messen, was sich relativ leicht ändern lässt, wie Sport oder Kaffeekonsum, anstatt das zu erforschen, was ihre Lebensqualität vielleicht stärker beeinflusst, aber schwerer zu verändern wäre.« Derlei Vorwürfe, die »der routinierte Pessimist« gegenüber Quantified Self erhebe, seien aber »nicht spezifisch für die private Datenerhebung«. Man könne sie ebenso gut an Wissenschaft und Management richten.
Insgesamt erscheint Quantified Self in Passigs Essay als eine logische und begrüßenswerte nächste Stufe in der gemeinsamen Entwicklungsgeschichte von Mensch und Technik. Passigs Prognose ist denn auch: »Wir haben neue technische Möglichkeiten, etwas über uns herauszufinden, und wir haben eine Reihe von Motivationen, es zu tun. Dass sich die Selbstvermessung unter diesen Umständen nicht auf breiter Front durchsetzen wird, ist unwahrscheinlich.«
Auch die audiovisuellen Medien greifen das Thema Quantified Self auf, das öffentlich-rechtliche Fernsehen genauso wie manche Videochannels der überregionalen Zeitungen.
Die ZDF-Sendung »Elektrischer Reporter« berichtet bereits im November 2011 über die damals hierzulande noch unbekannte Quantified-Self-Bewegung. »Glück, Gesundheit und Zufriedenheit haben die Menschen seit Menschengedenken an den unterschiedlichsten Orten und auf mannigfaltigste Arten und Weisen gesucht: mit Drogen oder ganz ohne Drogen, in Philosophie, Meditation, Sport oder Sex«, leitet Mario Sixtus seinen Beitrag ein. »Ganz neu« sei es nun, »mit Hilfe medizinischer und anderer Hilfsmittel genaueste Daten über die eigenen Körperfunktionalitäten zu sammeln und diese über das Netz miteinander zu teilen.« Man sieht die beiden Gründer von Quantified Self Deutschland, Christian Kleineindam und Andreas Stadler, wie sie sich selbst vermessen, wie sie Körpergewicht, Lungenfunktion, Intelligenzquotient und Mundfeuchtigkeit messen, dokumentieren und interpretieren. Nach seiner Motivation für die Selbstvermessung befragt, nennt
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