Mein digitales Ich
gleich in der zweiten Liedzeile hinterher: »Denn allzu leicht könnt’s im Deutschen peinlich klingen.« Diese im Kontext des Liedes durchaus selbstironische Erkenntnis, die sich auf dem Album Digital ist besser befindet, spiegelt sich auch in diesem Buch wider, denn die Begriffe und Formulierungen rund um Quantified Self klingen im Englischen einfach besser, lockerer, passender – auch wenn der in Deutschland verbreitete Begriff »digitale Selbstvermessung« zugegebenermaßen konkreter ist. Um das Selbst quantifizieren zu können, bedarf es einer technisch initiierten Vermessung. Erst die Digitalisierung der gemessenen Daten ermöglicht eine mathematische bzw. computerisierte Auswertung, Vernetzung und Vergleichsgrundlage des Selbst. Und dabei drängt sich eine Frage auf: Kann man ein Buch über etwas schreiben, das man nur beobachtet, aber selbst nicht erfahren hat? Nun ja, man kann schon. Schließlich beschränken sich die meisten bisher erklärten Effekte und die möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen einer digital vermessenen Gesellschaft zum Großteil auf Mutmaßungen. Um die Brücke zwischen dem eben erwähnten Tocotronic-Song und dem Thema dieses Buches zu schlagen, wählen wir ein Zitat des Autors und Datenwissenschaftlers DJ Patil, der im Rahmen der MünchnerFachkonferenz DLD im Januar 2013 einen schlauen Satz zur Digitalisierung der Gesellschaft formulierte. Demnach verhalte sich die Diskussion darüber wie das Gerede von Teenagern über Sex: Alle redeten davon, aber niemand habe praktische Erfahrungen gesammelt.
Eine potenziell so grundlegende gesellschaftliche Veränderung, die der technisch vermittelten Selbstwahrnehmung rund um Quantified Self vorauseilt, sollte aber zumindest auf einigen subjektiven Erfahrungen fußen. Also lege ich (Christian) los.
Vorab sei erwähnt: Ich habe mich bisher weder analog noch digital in irgendeiner Form regelmäßig gemessen oder quantifiziert. Dass ich eine Körperwaage betreten habe, ist mittlerweile so lange her, dass ich mich nicht einmal daran erinnern kann. Fest steht auch, dass ich die meiste Zeit jobbedingt im Sitzen verbringe. Um diese Erkenntnis zu bestätigen, brauche ich ganz sicher keine Hightech-Gadgets. Als sportlich würde ich mich auch nicht bezeichnen, zumindest nicht mehr, denn engagiertes Joggen, Fußballspielen oder Schwimmen liegen schon Jahre zurück. Die einzige regelmäßige Bewegung, die ich meinem Körper abverlange, ist der Gang zur U-Bahn. Hinzu kommen eine gelegentliche Fahrradfahrt ins Büro sowie der ein oder andere Spaziergang. Wann, wie lange und wie oft ich mich bewege, ist mir, um ehrlich zu sein, völlig unklar. Ich schätze, es ist eher wenig. Und da kommt schon ein erster entscheidender Knackpunkt: meine Neugier. Ich möchte gerne wissen, wie oft und wie viel ich mich bewege, und anschließend will ich gerne den Versuch unternehmen, körperlich etwas aktiver und fitter zu werden, denn das Treppensteigen wird mit 30pluslangsam spürbar. Etwas mehr Fitness und ein bisschen weniger Bauch wäre schon super. Der erste Schritt muss also die digitale Bestandsaufnahme meines Körpers sein.
Bestandsaufnahme
Los geht’s mit einer WLAN-Waage. Ich entscheide mich für die »aria« der Firma Fitbit. »Smart Scale« steht auf der braunen Verpackung der von außen völlig normal wirkenden Waage. Bestückt mit vier handelsüblichen AA-Batterien funkt das smarte Messgerät Körpergewicht, Körperfettanteil und Body-Mass-Index (BMI) über das heimische WLAN-Netz ins Internet. Bevor das funktioniert, muss ich eine Software des Herstellers auf meinem Computer installieren, mich bei dem dazugehörigen Onlineportal anmelden und die Waage mit meinem WLAN-Router verbinden. Das geht ganz praktisch vom Rechner aus, die Anleitung führt mich Schritt für Schritt durch den Installationsprozess. Größe, Alter und Geschlecht will die Waage wissen, nur so kann sie verlässlich meinen BMI-Wert interpretieren. Je nach Alter und Geschlecht ist diese Zahl anders zu beurteilen. Als ich das erste Mal auf die Waage steige, bin ich überraschenderweise etwas nervös, nach wenigen Augenblicken erscheinen zwei Werte auf dem Display: 87,8 und 21,2. Der erste Wert benennt mein Gewicht in Kilogramm, der zweite meinen Körperfettanteil in Prozent. Ich bin erstaunt. Mehr als ein Fünftel meines Körpers besteht aus Fett! Ist das normal? Das sagt mir die Waage nicht, zumindest noch nicht. Auf dem kleinen Display erscheint ein blauer Pfeil und die Meldung »Step
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