Mein digitales Ich
digitalen Selbstvermessung auf.
4 . Zwischen Euphorie und Angst: Die Selbstvermessung in den Medien
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Quantified Self, der Mensch in Zahlen, das ist eine Vorstellung, die polarisiert. Fast möchte man sagen: naturgemäß. Selbsterkenntnis durch Messdaten – kann so etwas gut gehen? Darf man das? Ist das sinnvoll? Naiv? Oder sogar gefährlich?
In der deutschen Medienlandschaft wird das Thema Quantified Self im Sommer 2011 wichtig. Bis dahin scheint diese neue Bewegung aus den USA, abgesehen von ein paar verstreuten Meldungen in technikaffinen Special-Interest-Portalen, für deutsche Redaktionen nicht der Rede wert.
Im Juli 2011 dann berichten sueddeutsche.de und spiegel online freundlich interessiert über den neuen Trend der Selbstvermessung, mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Die einen betonen »das Recht am eigenen Datenhaufen« und enden mit Gary Wolf, Mitbegründer von Quantified Self. Der findet, es sei »nur fair, wenn man so viel über sich selbst wisse, wie es auch Google oder Facebook schon tun« 3 .
Die anderen fächern die praktischen Vorteile eines Lebens in Zahlen auf, vor allem für körperliche Gesundheit und Fitness. Kritik wird kurzerhand in den Mund des romantischen Dichters Novalis (1772–1801) verlegt, der in seinem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen lyrisch die Vorherrschaft der Zahl über das »freie Leben« als Grundübel der Zeit beklagt:
» Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
(…)
Wenn sich die Welt in’s freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
(…)
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen sofort.«
Aber diese Zeilen sind lange her und nach Ansicht von Autorin Maike Laaf offenbar längst passé: »Spätestens mit der digitalen Revolution ab 1970 geriet solche Romantik unter die Räder.« 4
Porträts einzelner Selbstvermesser erscheinen, es wird mehr oder weniger distanziert beschrieben, wer was wie, wann und warum misst, wie in der Szene täglich Buch geführt wird über Puls, Blutdruck, Lungenvolumen, Gewicht, Hirnaktivität, »was auch immer quantifizierbar ist« 5 , um herauszufinden, was einen in welcher Weise beeinflusst. Die Selbstvermesser, so wird deutlich, sind von einem Pioniergeist getrieben. Sie wollen sich nicht auf gemeinhin tradierte Wirkmechanismen verlassen, vielmehr geht es ihnen darum herauszufinden, wie bestimmte Dinge unter bestimmten Umständen auf den Einzelnen wirken. Christian Kleineidam, Mitbegründer von »Quantified Self Deutschland«, sagt: »Es ist vergleichbar mit Martin Luther: Der hat den Menschen auch beigebracht, nicht nur auf das Wissen von oben zu vertrauen, sondern selbst nachzudenken, sich selbst wichtig zu nehmen.« Eine nach Ansicht des Spiegel -Autors Birger Menke für die Generation Kleineidams »typische Mischung aus Fortschrittsglauben und Pragmatismus«, die unter anderem darin bestehe, dass man seine Daten lieber selbst ins Internet stellt, als dies anderen zu überlassen.
Weitere Verbreitung findet das Thema dann im darauffolgenden Jahr. Deutschlandradio Kultur sendet am 5. Januar 2012 im Rahmen der Sendung Forschung und Gesellschaft das halbstündige Radiofeature von Christian Grasse mit dem Titel »Die Vermessung des Selbst«. Hier werden Themen und Techniken der Selbstvermesser beleuchtet, praktizierende Quantified-Selfer interviewt und die Potenziale, die ein so umfassender Einblick in das eigene Innenleben birgt, ausgelotet und kritisch hinterfragt. Quantified Self ist, so der Tenor des Features, im Grunde nur die konsequente Weiterführung des heute vorherrschenden Prinzips, alles, was uns umgibt, zu beziffern, zu skalieren und auf Basis der Zahlen zu bewerten und einzuordnen. Und die wachsende Menge an neuen Geräten, Programmen, Apps und Plattformen, die seit einiger Zeit auf den Markt drängen, zeigt, dass die Welt ganz offensichtlich bereit ist für diese Idee.
Zumindest ein Teil von ihr. Der andere schlägt Alarm. Während die einen bereits die Demokratisierung der Medizin und die Rückeroberung des eigenen Körpers aus dem autoritären Klammergriff der Profimedizin feiern, entwerfen die anderen das Horrorszenario einer Gesundheitsdiktatur von Orwell’schen Ausmaßen, in der Krankheit einer fragwürdigen »Selber schuld«-Logik unterworfen wird und in der man sich Gesundheit selbst verdienen muss. Wieder andere warnen: »Messen von Körperfunktionen kann süchtig machen 6 .«
In seinem gleichnamigen Artikel zitiert der Autor Klaus Vogt den
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