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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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und man spricht nicht über Verwandte, die trinken, sich verschulden, ihre Frau schlagen oder im Gefängnis waren. Alles wird vertuscht, angefangen bei der kleptomanischen Tante bis hin zu dem Vetter, der sich an greise Mütterchen heranmacht, um sie ihrer armseligen Ersparnisse zu berauben, ganz zu schweigen von dem, der als Liza Minnelli verkleidet in einem Cabaret singt, denn in Chile ist jedwede Originalität bezüglich sexueller Vorlieben unverzeihlich. Eine Schlacht mußte geschlagen werden, bis man öffentlich über die Auswirkungen von Aids sprach, weil niemand die Ursachen beim Namen nennen möchte. Auch gibt es keine gesetzliche Regelung zur Abtreibung, eines der gravierendsten Probleme in der Gesundheitsfürsorge des Landes, weil man hofft, wenn man nicht daran rührt, werde das Thema wie von Zauberhand verschwinden.
    Meine Mutter besitzt ein Tonband mit einer Reihe der delikatesten Histörchen und Skandale der Familie, läßt es mich aber nicht hören, weil sie fürchtet, daß ich den Inhalt verbreite. Sie hat mir versprochen, mir diese Aufzeichnungen nach ihrem Tod zu vererben, wenn sie vor der apokalyptischen Rache ihrer Verwandtschaft endgültig sicher ist. Ich wuchs inmitten von Geheimnissen auf, von Mysterien, Geraune, Verboten, von Angelegenheiten, die niemals erwähnt werden durften. Ich bin den unzähligen Skeletten im Schrank zu Dank verpflichtet, denn sie haben den Keim des Schreibens in mich gelegt. In jeder meiner Geschichten versuche ich das eine oder andere von ihnen zu erlösen.
    In meiner Familie wurde nicht getratscht, in dieser Hinsicht unterschieden wir uns etwas vom gemeinen Homo chilensis , bei dem es Volkssport ist, über denjenigen herzuziehen, der gerade den Raum verlassen hat. Das ist nochetwas, das die Chilenen von ihren Idolen, den Engländern, unterscheidet, bei denen der Anstand jeden persönlichen Kommentar über andere verbietet. (Ich kenne einen ehemaligen Soldaten der Royal Army, verheiratet, Vater von vier Kindern und mehrfacher Großvater, der sich zu einer Geschlechtsumwandlung entschloß. Von einem Tag auf den anderen sah man ihn nur noch in Frauenkleidern, und absolut niemand in seinem englischen Dorf zwischen Fuchs und Hase, wo er seit vierzig Jahren lebte, verlor auch nur ein Wort darüber.) Wir dagegen haben für das Schlechtmachen unserer Mitmenschen sogar ein eigenes Wort: »rupfen«, was sicher vom Hühnerrupfen kommt, also dem Abwesenden das schmucke Federkleid runterreißen. Das führt dazu, daß niemand als erster gehen will und sich die Verabschiedungen an der Tür eine Ewigkeit hinziehen. In meiner Familie wurde die von meinem Großvater aufgestellte Regel, nicht schlecht über andere zu sprechen, indes derart strikt eingehalten, daß er meiner Mutter noch nicht einmal sagte, weshalb er gegen ihre Heirat mit dem Mann war, der mein Vater werden sollte. Es widerstrebte ihm, die Gerüchte zu wiederholen, die über das Gebaren und den Charakter dieses Mannes umliefen, denn er hatte keine Beweise, und ehe er den Namen des Anwärters mit einer Verleumdung beschmutzte, setzte er lieber die Zukunft seiner Tochter aufs Spiel, die schließlich völlig blauäugig einem Mann das Jawort gab, für den sie viel zu schade war. Mit den Jahren habe ich diese Familieneigentümlichkeit abgeschüttelt. Ich habe keine Skrupel, Gerüchte zu wiederholen, hinter jemandes Rücken über ihn zu reden und anderer Leute Geheimnisse in meinen Büchern auszuplaudern. Deshalb redet die Hälfte meiner Verwandten nicht mehr mit mir.
    Daß die Familie nicht mit einem redet, ist sowieso üblich. Der große Romancier José Donoso sah sich durch familiären Druck dazu genötigt, ein Kapitel aus seinen Memoiren zu streichen, in dem er über eine patente Urgroßmutterberichtete, die nach dem Tod ihres Mannes einen illegalen Spielsalon mit entzückenden weiblichen Bedienungen betrieb. Dem Vernehmen nach soll sie den Familiennamen damit derart befleckt haben, daß ihr Sohn nicht Präsident werden konnte, und ihre Kindeskinder versuchen noch ein Jahrhundert später, sie dem Vergessen anheimzugeben. Wie schade, daß diese Frau nicht zu meiner Sippe gehörte. Mit gerechtfertigtem Stolz hätte ich ihre Geschichte ausgeschlachtet. Wie viele köstliche Romane könnte man schreiben, hätte man eine Urgroßmutter wie diese!

Von Tugenden und Untugenden
    Die Männer in meiner Familie studierten fast alle Jura, auch wenn ich mich nicht erinnere, daß je einer seinen Abschluß gemacht hätte. Die Chilenen

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