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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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haben eine Schwäche für Gesetze, je komplizierter, desto besser. Nichts fesselt uns so sehr wie Papierkrieg und Formalitäten. Wenn irgend etwas glatt über die Bühne geht, argwöhnen wir sofort, daß es illegal ist. (Ich habe beispielsweise immer daran gezweifelt, daß meine Heirat mit Willie gültig ist, weil die mit zwei Unterschriften in einem Buch binnen fünf Minuten erledigt war. In Chile hätte das mehrerer Wochen Auseinandersetzung mit den Behörden bedurft.) Die Chilenen sind regelversessen, es gibt kein besseres Geschäft als ein Notariat: Wir wollen alles mit Brief und Siegel, in mehreren beglaubigten Kopien und mit jeder Menge Stempel. Unsere Gesetzesgläubigkeit geht so weit, daß General Pinochet nicht als Usurpator der Macht, sondern als rechtmäßiger Präsident in die Geschichte eingehen wollte, wofür er die Verfassung ändern mußte. Später sah er sich durch eine dieser vielen Ironien der Geschichte in einem Netz von Gesetzen verstrickt, die er selbst geschaffen hatte, um sich seinen Posten für die Ewigkeit zu sichern. Seine Verfassung sah vor, daß er noch weitere acht Jahre im Amt bleiben würde – er war schon etliche an der Macht – und man 1988 das Volk befragen würde, ob es weiterhin ihn wolle oder Wahlen stattfinden sollten. Er verlor das Plebiszit, und im Jahr darauf verlor er die Wahl und mußte den Präsidentenstuhl für seinen Gegner, den Kandidaten der Demokraten, räumen. Im Ausland kann man den Leuten schwer begreiflich machen, warum die Diktatur endete, die auf die bedingungslose Unterstützung der Streitkräfte, der Rechten und eines nicht unerheblichenTeils der Bevölkerung zählen konnte. Die politischen Parteien waren aufgelöst, es gab keinen Kongreß, und die Presse wurde zensiert. Wie der General immer wieder versicherte, »rührte sich ohne sein Einverständnis kein Blatt im Land«. Wie konnte er also durch eine demokratische Wahl gestürzt werden? So etwas ist nur in einem Land wie Chile möglich. In ähnlicher Weise, durch eine Lücke im Gesetz nämlich, versucht man nun ihm und anderen Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen den Prozeß zu machen, obwohl der Oberste Gerichtshof von Pinochet selbst eingesetzt wurde und ein weitreichendes Amnestiegesetz es verhindern sollte, daß er und seine Gefolgsleute für Straftaten während der Regierungszeit zur Rechenschaft gezogen werden. Nur ist es so, daß Hunderte Personen damals verhaftet wurden, von denen die Militärs behaupten, sie nicht ermordet zu haben. Da sie jedoch nicht wieder aufgetaucht sind, gelten sie als entführt. Und in diesem Fall verjährt das Delikt nicht, so daß sich die Schuldigen nicht hinter dem Amnestiegesetz verschanzen können.
    Die Liebe zu den Regeln, wie wirkungslos sie auch sein mögen, findet ihren deutlichsten Niederschlag in dem unüberschaubaren Verwaltungsapparat unseres leidgeprüften Landes. Dieser Apparat ist das Paradies des »Dutzendchilenen« oder kleinen Mannes. Darin darf er nach Belieben dösen, muß die Fallstricke der Phantasie nicht fürchten und kann sich auf seinem Posten bis zum Erreichen des Rentenalters rundum sicher fühlen, sofern er nicht so unvorsichtig ist, etwas ändern zu wollen. So jedenfalls beschreibt das der Soziologe und Schriftsteller Pablo Huneeus (der übrigens zu den wenigen exzentrischen Chilenen gehört, die nicht mit meiner Familie verwandt oder verschwägert sind). Der Beamte im öffentlichen Dienst muß von seinem ersten Tag im Büro an begreifen, daß jedes Anzeichen von Initiative ihn die Karriere kosten wird, denn er ist nicht dazu da, sich Lorbeeren zu verdienen, sondern soll in Würde seinpersönliches Niveau der Inkompetenz erreichen. Das Hinund Herschieben von Papieren mit Siegel und Stempel dient nicht dem Lösen von Problemen, sondern dem Verbauen von Lösungen. Würden die Probleme nämlich gelöst, verlöre der Apparat an Macht, und viele ehrbare Leute gingen ihrer Anstellung verlustig; werden sie dagegen verschärft, stockt der Staat die Haushaltstitel auf, es werden mehr Leute eingestellt, die Arbeitslosenquote sinkt, und alle sind’s zufrieden. Das Quentchen Macht, das er hat, läßt der Beamte jeden spüren, der ihn aufsucht, weil er in dem seinen Feind sieht, ein Gefühl, das ganz auf Gegenseitigkeit beruht. Ich war baß erstaunt, daß in den Vereinigten Staaten der Führerschein genügt, um sich im ganzen Land zu bewegen, und daß man die meisten Formalitäten auf dem Postweg erledigt. In Chile würde der zuständige Beamte

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