Mein erfundenes Land
selbst witzelte darüber, auf seinem Grabstein werde einst stehen: »Hier ruht der künftige Präsident Chiles.« Er war mutig, seinen Freunden und Mitarbeitern gegenüber loyal und seinen Gegnern gegenüber großmütig. Zwar galt er wegen seiner Art, sich zu kleiden, und seiner Vorliebe für schöne Frauen und das gute Leben als Dandy, aber seine politischen Überzeugungen vertrat er sehr gewissenhaft; in dieser Hinsicht wird ihn niemand frivol nennen können. Seine Gegner vermieden die persönliche Konfrontation mit ihm, weil er im Ruf stand, jede Situation zu seinen Gunsten manipulieren zu können. Sein Ziel war es, im Rahmen der bestehenden Verfassung tiefgreifende wirtschaftliche Reformen durchzuführen, außerdem wollte er die von der Vorgängerregierung begonnene Agrarreform ausweiten und private Unternehmen, Banken und Kupferminen, die im Besitz nordamerikanischer Konzerne waren, verstaatlichen. Der Sozialismus sollte erreicht werden, ohne die bürgerlichen Rechte und Freiheiten zu beschneiden, ein Experiment, das bis dahin nie versucht worden war.
Die kubanische Revolution trotzte den Anfeindungen der USA bereits seit zehn Jahren, und in vielen Ländern Lateinamerikas waren linke Guerrillabewegungen aktiv. Che Guevara, ermordet in Bolivien, war der unumstrittene Held der Jugend. Mit seinem Heiligengesicht unter der Baskenmütze war er zum Symbol für den Kampf für Gerechtigkeitgeworden. Es war die Zeit des Kalten Kriegs, die Weltsicht und die Außenpolitik der Sowjetunion und der USA wurden von einer paranoiden Angst bestimmt. Chile war eins der Bauernopfer in diesem Kampf der Titanen. Die Regierung von Präsident Nixon beschloß, sich direkt in das Wahlverfahren in Chile einzumischen. Henry Kissinger, der damals Sicherheitsberater im Weißen Haus war und zugab, von Lateinamerika, das er als Hinterhof der USA betrachtete, keine Ahnung zu haben, sagte: »Es gab keinen Grund, tatenlos zuzusehen, wie ein Land durch die Verantwortungslosigkeit der eigenen Bevölkerung kommunistisch wird.« (In Lateinamerika erzählt man sich folgenden Witz: Warum gibt es in den USA nie einen Militärputsch? Weil die keine US-Botschaft haben.) Kissinger fürchtete Salvador Allendes demokratischen Weg zum Sozialismus mehr als eine bewaffnete Revolution, weil der Rest des Kontinents davon angesteckt werden konnte wie bei einer Epidemie.
Die CIA schmiedete Pläne, um Allendes Amtsantritt zu verhindern. Erst wurde versucht, einige Mitglieder des Kongresses zu bestechen, damit sie ihn bei der Ernennung durchfallen ließen und es zu Neuwahlen käme, in denen dann nur noch Allende und ein von der Rechten unterstützter Kandidat der Christdemokraten gegeneinander antreten sollten. Als die Bestechung nicht gelang, plante man die Entführung des Oberkommandierenden der Streitkräfte, General René Schneider, die einem linken Kommando in die Schuhe geschoben werden sollte. Tatsächlich wurde sie dann von einer neofaschistischen Gruppe ausgeführt, sollte Chaos säen und ein militärisches Eingreifen provozieren. Der General starb im Kugelhagel, und das Vorhaben hatte den gegenteiligen Effekt: Eine Welle des Entsetzens ergriff das Land, und der Kongreß ernannte Salvador Allende einstimmig zum Präsidenten. Von da an hintertrieb die Rechte zusammen mit der CIA die Regierungsarbeit der Unidad Popular selbst zum Preis des ökonomischen Zusammenbruchs und der Zerstörungvon Chiles langer demokratischer Tradition. Sie setzten den sogenannten Plan der »Destabilisierung« in Gang, internationale Kredite wurden gestrichen und im großen Stil Sabotageakte verübt, um die Wirtschaft zu ruinieren und die Gewalt auf der Straße anzuheizen. Zugleich umgarnten sie mit Sirenengesängen das Militär, das letzten Endes zur Trumpfkarte in diesem Spiel werden sollte.
Die Rechte, die in Chile die Presse kontrolliert, hatte im Vorfeld der Präsidentschaftswahl von 1970 eine Kampagne des Schreckens initiiert, unter anderem mit Anzeigen, auf denen sowjetische Soldaten Müttern ihre Kinder entreißen, um sie in die Gulags zu verschleppen. Als am Tag der Wahl klar wurde, daß Allende gewonnen hatte, strömten die Menschen zum Feiern auf die Straße; nie zuvor hatte man eine Demonstration von solchen Ausmaßen gesehen. Die Anhänger der Rechten waren der eigenen Schreckenspropaganda auf den Leim gegangen und verschanzten sich in ihren Häusern, überzeugt, der aufgehetzte »Pöbel« werde keinen Stein auf dem anderen lassen. Die Stimmung auf der Straße war
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