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Mein Erzengel (German Edition)

Mein Erzengel (German Edition)

Titel: Mein Erzengel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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war, habe ich meinen Körper in anthrazitfarbene Männerpullover gehüllt. Ich wollte von meinem Körper möglichst wenig zeigen, schämte mich für meine Brüste. Wahrscheinlich war ich damals genauso schön wie diese Frauen hier. Aus und vorbei. Jetzt sind wir bald alt.»
    «Komm, komm», macht Heike auf optimistisch. «Wir haben eben was anderes zu bieten.»
    «Das ist schon wahr, aber der Verlust des straffen Körpers macht mir mehr zu schaffen als alles andere. Vielleicht ist es für Frauen, die nie schön waren, weniger schlimm. Wenn ich mir Fotos von mir als Achtzehnjähriger anschaue, kann ich meine Schönheit kaum fassen. Und ich habe nichts aus diesem vergänglichen Kapital gemacht! Ich erinnere mich, dass ich einmal von einem befreundeten Fotomodell gebeten wurde, bei einer Vorführung von Badeanzügen für sie einzuspringen. Das war für mich ungeheuer aufregend. Tagelang stolzierte ich in meinem einzigen Badeanzug auf Stöckelschuhen durch die Wohnung und fragte meine Mutter andauernd, ob ich auch wirklich in Ordnung sei. ‹Aber ja›, hat sie gesagt, ‹du bist wunderschön.› Am Ende wurde nichts draus, also habe ich nie die Erfahrung gemacht, meinen Körper öffentlich zur Schau zu stellen.»
    «Ich war zu klein», sagt Heike. «Da kam ich erst gar nicht auf die Idee, mich als Fotomodell produzieren zu wollen.»
    «Ich wusste, dass ich intelligent war und künstlerisch was draufhatte, das schon. Aber wenn ich ehrlich bin, wollte ich in erster Linie schön sein.»
    «Das warst du doch!»
    «Ja, aber ich hab’s nicht gewusst! Und wenn jemand es mir gesagt hat, hab ich’s nicht geglaubt! Diese Mädchen hier scheinen es zu wissen.»
    «Es ist aber auch ihr einziges Kapital.»
    «Wer weiß, vielleicht finanziert sich die eine oder andere damit ihr Studium der Atomphysik an der Uni Kiew.» Sie lachen und haken sich unter.
    In einem schmuddeligen Coffeeshop verzehren sie Haschischcookies und genießen die sich allmählich ausbreitende träge Leichtigkeit. Kichernd torkeln sie nach Hause und lassen sich auf der Couch wohlig in Erinnerungen fallen. Ruth kramt den Plastiksack mit den ungeordneten Schwarzweißfotos aus den siebziger Jahren hervor. Ruth und Heike, beide im Afrolook, strahlen in die Kamera. Heike trägt ein indisches Kleid, und Ruth hat als Größere den Arm um die Freundin geschlungen. Ruth bei einem Frauenfest, die Füße in schweren Stiefeln auf den Tisch gelegt. Sie hat geweint, und eine Frau tröstet sie. Was damals vorgefallen war, weiß sie nicht mehr, das Neuland, das die Frauen gemeinsam betraten, brachte ihr Gefühlsleben durcheinander. Die Energie, die ihnen der kollektive Aktionismus verlieh, ließ alles möglich erscheinen. Binnen weniger Jahre würde eine neue Zeit anbrechen, davon waren sie überzeugt. Nein, sie war schon da, die neue Zeit, und je mehr Ablehnung, Widerspruch und Hohn sie ernteten, desto kühner und stolzer wurden sie. Bislang Anhängsel von Männern, die sich isoliert voneinander darum bemühten, den Kopf über Wasser zu halten, erlebten sie sich zum ersten Mal im Leben als Handelnde. Im Strudel dieser nie gekannten Nähe zwischen Frauen verliebten sie sich ineinander, und Ehen gingen zu Bruch. Ruth konnte es plötzlich nicht mehr leiden, wenn ihr damaliger Freund sich von hinten an sie heranpirschte und ihre Brüste tätschelte. Sie stürmte mit Riesenschritten voran und ließ ihn verwirrt hinter sich zurück.
    Das Aufregendste, was Heike und Ruth miteinander erlebten, war Sex zu dritt. Nach einem Wochenende, an dem ein feministisches Themenheft über Sexualität konzipiert wurde, waren sie zu erregt, um in ihre jeweiligen Wohnungen, zu ihren jeweiligen Freunden zurückzukehren. Wessen Idee es war, das Besprochene in die Praxis umzusetzen, und in wessen Wohnung sie gingen, wissen sie nicht mehr, es muss wohl Heikes gewesen sein, die öfter als die beiden anderen solo war und sich ihre Freizeit mit Krimis vertrieb. Auf der großen Matratze fielen sie übereinanderher, Heike, Ruth und Andrea, mit der beide befreundet waren. Andrea war blond und mollig und eine der wenigen Feministinnen, die damals schon einen Managerposten bekleideten. Die Erinnerung an das Experiment ist verblasst, Andrea hat den Vorfall sogar vollständig aus ihrem Gedächtnis gelöscht, weiß Heike. Ruth erinnert sich nur noch an einen unkontrollierbaren Höhenflug angesichts der Grenzüberschreitung, die sie begingen, und an eine gewisse Beklommenheit, nachdem der Rausch abgeklungen war.

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