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Mein Erzengel (German Edition)

Mein Erzengel (German Edition)

Titel: Mein Erzengel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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obwohl auf jeder ein Markenname prangt: Moschino, D&G, Fendi, Gucci, Prada. Einer der Afrikaner bemerkt ihren Blick: «Du kannst sie günstig haben.» Jetzt beginnt sich auch der andere zu regen, wühlt mit seinen langen Fingern in dem Taschenhaufen und zieht eine aus braunem Leder mit einer goldenen Kette heraus. Er hält sie ihr unter die Nase, wendet sie mit sichtlichem Stolz hin und her.
    «Oh, no!», wehrt Ruth entsetzt ab.
    «Woher seid ihr?», fragt sie gleich darauf, um ihre Unhöflichkeit zu überspielen.
    Aus Liberia sind sie. Ruth weiß nicht, wo das liegt, kann sich nur erinnern, dass es dort vor einiger Zeit einen Krieg gab.
    Als klar wird, dass sie für die gefälschte Prada-Tasche nicht zu haben ist, knüpfen die Männer das Laken um ihre Ware zusammen und bedeuten Toni mit einem Zwinkern, dass sie die beiden nun allein lassen.

16
    «Kaffee?»
    Toni stellt die Espressomaschine auf die elektrische Herdplatte.
    «Du willst also wissen, woher ich Michaël kenne.»
    Er gießt den Kaffee in kleine Tassen und entschuldigt sich, weil er keinen Zucker hat. Ruth fischt aus ihrer Handtasche eins der Tütchen, von denen sie sich beim letzten Barbesuch mehrere eingesteckt hat. Auch bei Benedetto gibt es keinen Zucker. Ohne Zucker kann sie die schwarze Tinte, die man hier Kaffee nennt, nicht trinken.
    «Ich bin aus Meerwijk», beginnt Toni das Gespräch.
    Ruth stockt der Atem.
    «Das darf doch nicht wahr sein! Du kennst ihn also von klein auf, ihr seid ungefähr gleich alt.»
    «Wir haben sogar dieselbe Klasse besucht. Warst du mal in Meerwijk? Hübsches Städtchen.»
    Ein hübsches Städtchen, in der Tat. Auf der einen Seite das Binnenmeer, auf der anderen der Polder, dem Meer abgetrotztes, von Wassergräben durchzogenes Grasland mit Kopfweiden und Windmühlen. Die niedlichen Holzhäuser mit ihren steilen Dächern ordentlich aufgereiht auf dem Deich, durch die großen vorhanglosen Fenster schweift der Blick über das Wasser und die Masten der Boote im Hafen, im Winter stecken die Boote da draußen im Eis fest. Eine kleine Holzkirche. Samstags ein unangenehm nach Käse riechender Markt. An den Stand mit Nähseiden, Knöpfen und Reißverschlüssen in allen Farben der Welt denkt Ruth immer noch gern. Ansonsten Strümpfe, Fahrradschläuche, Makrelen, Grünkohl und immer wieder Käse in allen Stadien der Reifung. Eines der größeren weißgestrichenen Holzhäuser mit einem steilen Giebel: das Restaurant der Verbekes. Das im Kerzenlicht golden schimmernde Braun der Möbel und Wände erinnert an die Farbigkeit der Gemälde von Frans Hals und Rembrandt. Von den Holzbalken der Decke hängt ein Sammelsurium an Trödel, von Michaëls Eltern im Lauf der Jahre zusammengekauft: Kupferpfannen und -kannen, Messingglocken und -trompeten, Clogs, Sägen, Anker, Lampen mit Fransen aus Glasperlen, bemalte Figurinen aus Holz und ein Schiffsmodell, das Prunkstück. Auf der fensterlosen Seitenwand ein schlichtes Ölgemälde mit Segelschiffen auf hoher See und ein Glasschränkchen, darin Souvenirs aus Delfter Porzellan. Erstaunlich gut kann sich Ruth an die heimelige Atmosphäre erinnern, die schwer in Einklang zu bringen ist mit dem Hass, den Michaël gegen seine Familie hegt.
    «Ja, sehr hübsch, ein bisschen langweilig halt.»
    «Das kann man sagen, wir haben auch, sobald wir alt genug waren, jede Gelegenheit genutzt, um nach Amsterdam oder Rotterdam abzuhauen.»
    «Ich kann noch gar nicht fassen, dass du wirklich aus Meerwijk bist. Zwei- oder dreimal hat Michaël mich zu seinen Eltern mitgenommen. Mir hat es dort gefallen, für mich ist diese feuchte Landschaft exotisch, aber Michaël ist nicht gern hingefahren, er hat sich nur von Zeit zu Zeit dazu verpflichtet gefühlt. Seine Eltern waren ihm peinlich, und wenn ich dabei war, konnte er sie leichter ertragen. Besonders freundlich war er aber nie zu ihnen.»
    «Das kann ich mir vorstellen. Für diese Eltern muss man sich auch genieren. Oder sagen wir: für den Vater. Du weißt, warum?»
    «Ich weiß, dass er ein Kollaborateur war und dass er immer noch Antisemit ist, mehr weiß ich nicht. Aber das war mir immer ganz recht, sonst hätte ich Michaël vielleicht nicht mehr begleiten können. Wenn ich zum Beispiel erfahren hätte, dass er Juden umgebracht hat oder denunziert.»
    «Mit Details kann ich nicht aufwarten. Ich weiß nur, dass Michaël es nicht leicht gehabt hat, er hat mir leidgetan. Meine Eltern waren im Widerstand, sie waren auf der richtigen Seite, wie man bei uns sagt.

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