Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
öfter über die Lage der geteilten deutschen Nation gesprochen; auch über deren Implikationen. Aber andererseits gingen wir gemeinsam davon aus, dass erst in einer damals unabsehbaren Zukunft sich die Chance zur Vereinigung ergeben würde. Es war damals keine aktuelle Fragestellung.
Natürlich wusste der Präsident, dass wir Deutschen und so auch ich auf einen sehr langwierigen Prozess der Annäherung zwischen West und Ost setzten und dass ich mich bemühte, in beiden deutschen Nachkriegsstaaten das Bewusstsein von der gemeinsamen Nation aufrechtzuerhalten und zu stärken.
2 . Zur Frage der Bedeutung von Korb III in Helsinki. – Korb III hatte nach unserem Verständnis das Ziel, die oppositionellen Kräfte gegen die kommunistische Diktatur zu stärken, besonders in Polen, in der Tschechoslowakei, in der DDR und in Ungarn. Die Oppositionellen konnten sich auf die Unterschriften der kommunistischen Staatschefs berufen. So ist es ja dann auch tatsächlich gekommen.
3 . Zur Frage der Grauzone oder der sowjetischen Mittelstreckenraketen. – Nein, für mich und meine Regierung handelte es sich allein um eine gravierende Verschiebung des militärischen Gleichgewichtes zulasten des Westens. Die schnelle SS - 20 -Rüstung der Sowjets war im wesentlichen gegen Westdeutschland gerichtet. Sie konnte eines Tages als Drohung zum Zwecke der politischen Nötigung und Erpressung einer späteren deutschen Regierung oder der öffentlichen Meinung benutzt werden. Deshalb habe ich die Regierung Carter zunächst gedrängt, die Mittelstreckenraketen in ihre Abrüstungsgespräche mit Moskau einzubeziehen – wozu übrigens Präsident Ford bereit gewesen war. Carter aber lehnte das ab und verwies auf die überragenden amerikanischen Fähigkeiten im Feld der weitreichenden strategischen Raketen. Ich hingegen wusste, dass man sich gar nicht darauf verlassen konnte, dass die USA im Falle einer Nötigung Deutschlands mit ihren strategischen Waffen eine Gegendrohung aussprechen würden. Dies führte zu einem offenen Konflikt zwischen Bonn und Washington.
Schließlich lud Carter sowohl den französischen Präsidenten und den englischen Premier als auch mich zum Vierergespräch nach Washington ein. Giscard d’Estaing antwortete mit einer Einladung auf die französische Insel Guadeloupe. Der dort zustande gebrachte Doppelbeschluss ist wesentlich das Verdienst meiner Freunde Giscard und Callaghan; er wurde Ende 1979 vom Nordatlantikrat übernommen und hat – fast ein Jahrzehnt später – zum allerersten Abrüstungsvertrag zwischen Ost und West geführt.
Es hat, wenn ich es richtig erinnere, in Sachen der Mittelstreckenraketen keine Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten Giscard und mir gegeben, auch nicht im Verhältnis zu Washington. In der Presse und in den Ministerien in Paris und in Bonn gab es gewiss vielerlei Widersprüche und Nuancen, auch in den beiden nationalen Parlamenten. An der Spitze jedoch herrschte Einvernehmen – siehe Guadeloupe. Übrigens haben, wie mir scheint, in den achtziger Jahren – wir waren beide aus unseren Ämtern ausgeschieden – die Amerikaner weder Paris noch Bonn noch die NATO über ihre Mittelstreckenraketen-Verhandlungen voll informiert; wie mir scheint, insbesondere nicht über die Gespräche zwischen Paul Nitze und Juli Kwizinski und über deren Abbruch. Erst durch Gorbatschows Initiative gegenüber Reagan in Reykjavík hat dann der Doppelbeschluss seine Früchte getragen. Das war acht Jahre nach Guadeloupe.
4 . Auf die Frage nach einer französischen öffentlichen Unterstützung meiner Position in Sachen Doppelbeschluss: Nach meiner Erinnerung war der Doppelbeschluss zunächst nirgends sonderlich populär. Aber der innenpolitische organisierte Widerstand dagegen in Deutschland begann erst im Winter 1981 / 82 , er setzte sich auch noch 1983 zur Amtszeit Helmut Kohls fort – besonders in meiner eigenen Partei. François Mitterrand hat dann bei einer Rede in Bonn den deutschen Sozialdemokraten den Marsch geblasen und Kohl den Rücken gestärkt – und indirekt auch mir.
5 . Zur Frage eines möglichen »Wettbewerbs« zwischen Paris und Bonn in der Politik gegenüber Moskau: Nach der Aktenlage des Quai d’Orsay mag ein solcher Eindruck entstehen. Tatsächlich habe ich während meiner Amtszeit einen solchen Eindruck keineswegs gehabt.
Vielleicht darf ich hier einen Exkurs einfügen. Durch die beiden Weltkriege, in denen Deutsche und Russen gegeneinander, Franzosen und Russen
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