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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Februar 1974 die Mehrheit; er wurde von Harold Wilson abgelöst, dessen Labour-Regierung bei einer erneuten Unterhauswahl im Oktober mit knapper Mehrheit bestätigt wurde. Auf dem linken Flügel von Labour war der Widerstand gegen die europäische Integration besonders stark. In dieser für ihn schwierigen Situation lud Wilson für den Ende November in London stattfindenden Parteitag den deutschen Bundeskanzler als Gastredner ein. Daraufhin drohte die Linke, den Saal geschlossen zu verlassen, falls Schmidt für den Verbleib Großbritanniens in der EG plädieren sollte: das Thema sei tabu. Der Chairman des Parteitags, Außenminister James Callaghan, stellte den Gast, protokollarisch geschickt, nicht als Kanzler der Bundesrepublik, sondern als »befreundeten Abgeordneten der SPD und guten Genossen« vor, und Schmidt gelang das Kunststück, Englands Verbleib in der EG nicht als politisch notwendige Forderung, sondern als schlichte Bitte der Genossen vom Kontinent an die britischen Genossen zu formulieren – im Sinne wohlverstandener Solidarität.
    H err Vorsitzender, liebe Freunde,
    es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, heute zu Ihnen als Delegierter einer Bruderpartei zu sprechen. Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Einladung.
    In Vorauskommentaren einiger englischer Zeitungen hieß es, ich stehe im Ruf grob zu sein. Manche beschimpfen mich sogar. Aber wir müssen uns wohl alle daran gewöhnen, falsch verstanden oder sogar falsch dargestellt zu werden. Man muss das eben hinnehmen.
    Als ich 1969 in Brighton zum ersten Mal zur Labour Party Konferenz sprach, schickte sich meine Partei gerade an, zum ersten Mal eine Koalitionsregierung unter sozialdemokratischer Führung zu bilden. Heute haben Sie nach einem sehr harten Wahlkampf wieder eine Labour-Regierung gebildet.
    Als Erstes möchte ich Ihnen allen daher meine Glückwünsche zu dem politischen Sieg aussprechen, der Labour das Steuer dieses großen Landes wieder in die Hand gab. Die deutschen Sozialdemokraten und ich wünschen Ihnen Erfolg in allem, was Sie sich vorgenommen haben.
    Zweitens: Meine Partei, die SPD , möchte unsere brüderliche Solidarität zum Nutzen unserer beiden Völker und Parteien erhalten wissen. Der Solidarität bedürfen wir besonders in einem Augenblick, in dem viele Menschen glauben, dass wir uns am Rande einer neuen schweren Depression der Weltwirtschaft befinden. In diesem Geist der Solidarität, der unseren beiden Parteien in der Vergangenheit so oft zum Nutzen gereicht hat, bin ich hierher gekommen.
    Wenn ich vor Ihrem Kongress spreche, so geschieht das nicht nur, um in London Bonner Blumen zu streuen. Doch erlauben Sie mir auch ein Wort unter uns zu sagen: ich muss um Entschuldigung bitten, wenn ich einige enttäuschen sollte – ich bin nicht auf Kollisionskurs. Ich möchte vielmehr darstellen, wie wir die derzeitige Lage sehen. Das ergibt kein apokalyptisches Gemälde. Ich bin keine Kassandra, und wir sind auch nicht von panischer Angst ergriffen.
    Ich muss Ihnen aber meine Sorge über die künftige wirtschaftliche Entwicklung der Welt und Europas darlegen. Die Verdreifachung oder sogar Vervierfachung der Ölpreise hat in allen Öl einführenden Ländern zu einem Absinken der Realeinkommen und in den meisten auch zu ernsten Fehlbeträgen in ihren grundlegenden Außenbilanzen geführt. Das bedeutet eine Gefahr für den Welthandel und für unsere gesamten Exporte und damit für die Beschäftigungslage.
    Das Gespenst der Arbeitslosigkeit geht um, und gleichzeitig wirft die Inflation ihren Schatten über die industrialisierte Welt. Die wichtigste Frage, vor der die europäischen sozialistischen Parteien zurzeit stehen, ist zweifellos diese: Wie können unsere Länder und Parteien durch Zusammenarbeit dazu beitragen, die Wirtschaftsstruktur- und Energiekrise der Welt zu überwinden und unseren Völkern das doppelte Übel der Arbeitslosigkeit und Inflation zu ersparen? Weitreichende Inflation ist ein großes Übel für jedermann. Weitreichende Arbeitslosigkeit ist für eine Labour-Partei und eine Sozialdemokratische Partei in der Tat unerträglich.
    Die Frage ist, was können wir tun? Ich habe gewiss nicht die Absicht, mich in die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Vereinigten Königreichs einzumischen oder ihm Rat zu erteilen. Doch erlauben Sie mir als Vertreter der Interessen meines eigenen Volkes dies sehr offen zu sagen: Wenn es uns nicht gelingt, eng zusammenzuarbeiten, um die den gegenwärtigen Wirtschaftsproblemen in den

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