Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
westlichen demokratischen Gesellschaften innewohnenden Gefahren zu meistern, so fürchte ich, setzen wir die politische Stabilität aufs Spiel und könnten unser Privileg gefährden, in einem demokratischen System leben zu dürfen.
Arbeitslosigkeit und Inflation sind heute keine nationalen Probleme mehr. Sie sind im Gefolge der Strukturkrise des Weltwirtschaftssystems, die aus der Energiefrage entstand, zu weltweiten Problemen geworden. Die Menschen sowohl im Vereinigten Königreich wie in der Bundesrepublik Deutschland erinnern sich an unsere schrecklichen Erfahrungen mit der Inflation und der Arbeitslosigkeit in einer Zeit, die gar nicht so lange zurückliegt. Diese Erschütterungen trafen weniger die Reichen als vielmehr die Arbeiter und ihre Familien. Jeder wird mit mir darin übereinstimmen, dass wir als Sozialdemokraten diese Übel mit aller Kraft bekämpfen müssen. Es ist unsere Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass sich dies nicht wiederholt.
Als Erstes müssen die Industriestaaten eine einschneidende Energiepolitik aufstellen, die alle verführerischen Vorstellungen von nationalem Prestige beiseite lässt. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir eine Formel finden müssen, die die legitimen nationalen Interessen und die sehr dramatische unausweichliche Notwendigkeit gemeinsamen Handelns miteinander verbinden kann. Es genügt einfach nicht, bestimmte Währungsbeträge von einem europäischen Land in ein anderes zu transferieren. Natürlich müssen wir auch das tun. Wir Deutschen sind bereit, anderen Partnern in der Gemeinschaft zu helfen, weil dies auch ein Akt der Selbsthilfe ist. Worauf es wirklich ankommt, ist eine weltweite Anstrengung, die Energieverschwendung zu vermeiden, die Erschließung neuer oder als Ersatz dienender Energiequellen zu finanzieren, zur gegenseitigen Hilfe im Fall der Not bereit zu sein und all dies gemeinsam zu tun. In der Zukunft wird Großbritannien vielleicht mit seiner Ölversorgung etwas besser dran sein als andere. Ich freue mich, dass wir trotzdem über diese Erfordernisse einer Meinung sind.
Doch all dies wäre nicht genug, wenn es uns nicht gelänge, eine institutionalisierte und funktionierende Zusammenarbeit zwischen den Ölförder- und den Ölverbraucherländern zustande zu bringen, wobei ich natürlich auch die Öl verbrauchenden Entwicklungsländer einbeziehe, die am stärksten betroffen sind.
Meine Regierung hält nichts von Konfrontation mit den Ölförderländern. Ganz im Gegenteil. Verschiedene Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ich verweise auf die neueren Vorschläge des amerikanischen Außenministers Kissinger und auch auf die Vorschläge, die der französische Staatspräsident Giscard d’Estaing vor einem Monat gemacht hat. Ich bin überzeugt, dass in diesen Gedanken und Vorschlägen Elemente stecken, die sich in ein einziges, für die Ölförderländer interessantes und attraktives Programm einbauen lassen. Genau darum geht es mir, denn ich bin überzeugt, dass auch den Ölförderländern daran gelegen ist, dass die Stabilität und Voraussehbarkeit des Weltwirtschaftssystems erhalten bleibt.
Man muss begreifen, dass die Energiewirtschaft und die Mittel zu ihrer Lenkung eng verknüpft sind mit den gefährlichen Spannungen und der immer noch explosiven Lage im Nahen Osten und der Fähigkeit der Welt, damit fertig zu werden – was, wie ich meine, auf der Grundlage der Entschließung Nr. 242 der Vereinten Nationen geschehen sollte.
Ich bin überzeugt, dass sowohl Israel wie auch die arabischen Staaten ein wesentliches Interesse an der Normalisierung der Lage haben müssen. Das Gleiche gilt für die Ölförderländer.
Ich kann die Möglichkeit des Scheiterns nicht ausschließen; das macht ein Vorgehen auf diesem Wege umso notwendiger. Unsere gemeinsame Bemühung um eine abgestimmte Außenpolitik unter den europäischen Staaten war ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich möchte erwähnen, dass ich soeben von einem Besuch bei Herrn Breschnew zurückgekehrt bin, wo ich den klaren Eindruck gewann, dass der sowjetischen Führung ernsthaft an der Fortsetzung der Entspannungspolitik liegt. Andererseits vertritt diese Führung einen sehr mächtigen Staat und ein sehr mächtiges Bündnis, und wir sollten daher sorgsam darauf bedacht sein, das Gleichgewicht der Macht zu erhalten. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihrer Partei und Ihrer Führung meinen Dank für die Unterstützung aussprechen, die Willy Brandt und meiner Partei in den vergangenen Jahren
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