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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Beschlüssen der EG . Ich denke zum Beispiel an die Agrarpolitik. Ständig steigende Fleischpreise werden noch dazu führen, die Menschen in zwei Klassen zu teilen: diejenigen mit den größeren Einkommen auf der einen Seite und die Vegetarier auf der anderen.
    Lassen Sie mich ein nüchternes Wort zur gemeinsamen Agrarpolitik hinzufügen. Die europäische landwirtschaftliche Erzeugung muss wie in der Vergangenheit am Nahrungsmittelbedarf der Gemeinschaft orientiert sein und dabei auch die Einhaltung der Handelsverpflichtungen gegenüber dritten Ländern, insbesondere den Entwicklungsländern, ermöglichen. Wir können uns kostspielige Überschüsse, deren Verkauf wir zudem noch aus öffentlichen Mitteln subventionieren müssen, nicht leisten. Wir dürfen auch mit unserer gemeinsamen Agrarpolitik nicht den freien Welthandel behindern. Ich hoffe, dass die landwirtschaftliche Bestandsaufnahme durch die EG -Kommission in Brüssel die Fehler der Vergangenheit ans Licht bringen und uns in die Lage versetzen wird, sie zu korrigieren. Doch Europa ist nicht nur Landwirtschaft. Wir müssen uns auf industrielles Wachstum und industrielle Zusammenarbeit konzentrieren.
    Meine Partei ist der Überzeugung, dass die Vorteile der EG schwerer wiegen als die Spannungen und Belastungen. Schließlich ist es eine Organisation, deren Marschtempo und Richtung nur im Einvernehmen aller Mitglieder bestimmt werden kann. Wir meinen, dass sie uns die Mittel zur Zusammenarbeit an die Hand gibt, derer wir zur Lösung der Probleme der heutigen Krise der Weltwirtschaftsstruktur bedürfen.
    Wir dürfen diese Krise natürlich auch nicht überbetonen. Bisher handelt es sich um eine Rezession. Eine Rezession ist eine Zeit, in der man seinen Gürtel enger schnallt. Wenn es zu einer Depression kommt, hat man möglicherweise keinen Gürtel mehr, den man enger schnallen kann. Und wenn dann gar die Hosen fehlen, ist die Panik da. Aber es liegt überhaupt kein Grund für Panik vor. Zusammenarbeit hingegen schafft Vertrauen.
    Lassen Sie mich abschließend der langen Geschichte der Sozialdemokratie in Großbritannien und anderen Ländern gedenken, in der meine Partei auf weiten Strecken von der Ihrigen gelernt hat. Wir werden weder die historischen Ursprünge der Gewerkschaften und Genossenschaften noch den geistigen Beitrag der Fabier vergessen und auch nicht Clement Attlee, Ernest Bevin oder Nye Bevan, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wirkten. Ich hoffe, es gibt auch Beiträge der deutschen Sozialdemokraten, auf die Sie nicht verzichten möchten. Erlauben Sie mir zum Abschluss ein Zitat aus Shakespeares Julius Cäsar:
    »Der Strom der menschlichen Geschäfte wechselt;
    Nimmt man die Flut wahr, führet sie zum Glück;
    Wir sind nun flott auf solcher hohen See
    Und müssen, wenn der Strom uns hebt, ihn nutzen,
    Wo nicht, verlieren wir des Zufalls Gunst.«
    Mit William Shakespeare möchte ich mich nicht anlegen. Ich danke Ihnen sehr.

Man muss diese Opfer wollen ( 1975 )
    In seiner Rede zur Eröffnung der Außenpolitischen Bundeskonferenz der SPD am 17 . Januar 1975 skizzierte Bundeskanzler Helmut Schmidt das außenpolitische Konzept der von ihm geführten Regierung. In dem Abschnitt über die Europapolitik ging er auf die vielen »Opfer« ein, die die Bundesregierung erbracht habe, um den Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft zu festigen. Es sei »ein ganz großes, auch innenpolitisches Problem«, den Bürgern klarzumachen, »dass manches, was wir uns vielleicht leisten könnten, wir uns nicht leisten dürfen, weil unsere europäischen Partner diese Leistungen von uns bekommen sollen und nicht die eigenen Bürger«. Sich zu Europa bekennen, bedeute, dass man diese Opfer wollen muss – und dass man den Bürgern den Sinn dieser Opfer erklärt.
    V erehrte Gäste, liebe Freunde, wenn man die Ablaufplanung für diese Konferenz und die verschiedenen Themen, die in den Arbeitsgruppen behandelt werden sollen, gesehen hat, wird man nicht von mir erwarten, dass ich am Beginn der Konferenz einen alles deckenden Vortrag halten sollte. Ich will aber, quasi zur Einstimmung dieser Konferenz, nun auch nicht Geschichtsphilosophie betreiben oder außenpolitische Futurologie. Nicht nur deshalb, weil ich mich für beides nicht für kompetent ansehen kann, sondern auch deswegen, weil ich dergleichen Anstrengung für gefährlich halte für denjenigen, der sich mit den wirklichen Kräften und Mächten dieser Welt auseinanderzusetzen hat und der in der Welt unserer

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