Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Einfluss einzuräumen auf die vertragsgemäß von den neun Regierungen zu treffende Entscheidung über die Berufung der Kommissionsmitglieder. Es ist ein schwer vorstellbares System, in dem jemand Chef einer Quasi-Regierung, der Europäischen Kommission nämlich, sein soll, ohne bisher den geringsten Einfluss auf die Auswahl der Kollegen ausüben zu können, die in dieser Regierung mit ihm zusammenarbeiten sollen.
Wir wollen die Europäische Gemeinschaft im gesellschaftlichen und im politischen Bewusstsein der Bürger Europas stärker verankern; darin sind wir uns einig. Wir wollen auch den Schutz der Grundrechte und Freiheiten des Einzelnen verstärken, weil dadurch die Europäische Gemeinschaft als politische Grundordnung für den einzelnen Bürger unmittelbar erlebbar gemacht wird. Unlösbar in diesen Zusammenhang gehört die Gewährleistung des entsprechenden gerichtlichen Rechtsschutzes für den Einzelnen. Auch darum werden wir uns kümmern; wir sind dabei.
Ich bin weiter zuversichtlich, dass sich die Einwohner der neun Staaten schon von 1978 an durch einen im wesentlichen einheitlichen europäischen Pass ausweisen und dass die Grenzkontrollen zunehmend beseitigt werden können.
Ich denke, wir können sagen, dass wir nicht zu den europäischen Schönrednern gehören, von denen es viele gibt. Wir möchten uns auch nicht europäischer Besserwisserei schuldig machen, und wir denken nicht an irgendwelche deutschen Führungsansprüche. Im Gegenteil: Ich warne vor der Versuchung zu irgendwelchen deutschen Führungsansprüchen, die der eine oder der andere bisweilen spüren mag.
Wenn aber die Schwierigkeiten einiger anderer Länder es zurzeit nicht oder noch nicht möglich machen, solche Schritte zu tun, die eigentlich für alle geboten wären, so wollen wir darauf achten, dass unsere Kooperationsbereitschaft und unsere Fähigkeit zur Kooperation miteinander im Einklang gehalten werden. Für uns Deutsche als geteilte Nation, für die Bundesrepublik Deutschland insbesondere, die doch den Zustand der Teilung nicht als geschichtlich endgültig hinnehmen kann und hinnehmen will, ist die Förderung des europäischen Zusammenschlusses und sein Erfolg eine Lebensnotwendigkeit.
Wir sind uns dessen bei jeder einzelnen europäischen Ratssitzung und bei der Vorbereitung zu jeder einzelnen Entscheidung auf der morgen oder nächste Woche bevorstehenden Ratssitzung – welcher Rat auch immer das ist – durchaus bewusst. Wir lassen es deshalb auch zu keiner Zeit an konstruktiver Initiative auf dem Wege zu diesem Ziel des Fortschritts des europäischen Zusammenschlusses fehlen.
Wir haben es auch bisher an praktischer Solidarität nicht fehlen lassen. Ich erinnere an die Finanzierung der Agrarfonds, der Regional- und Sozialfonds, an den Währungsbeistand, die Gemeinschaftsanleihen, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mit Mitteln des Sozialfonds, an die vom Europäischen Rat in Dublin vereinbarten Korrekturmechanismen für die Beitragszahlung aus Anlass des britischen Referendums. Zu alledem haben wir faire Beispiele gegeben, und wir werden das weiterhin tun.
Ich wiederhole: Wir sind auch weiterhin zu zusätzlichen ökonomischen Opfern bereit, wenn sie gemeinsam mit eigenen Anstrengungen der Partnerstaaten gebracht werden und wenn sie dergestalt zum Fortschritt und nicht bloß zum Zustopfen von Löchern führen. Die Europäische Gemeinschaft hat trotz aller gegenwärtigen Schwierigkeiten in einigen Mitgliedsstaaten keinen Grund zu resignieren; denn sie hat sich durch die Weltwirtschaftskrise eben doch nicht auseinandertreiben lassen, wenngleich die Gefahr bestand. Großbritannien hat seine Entscheidung für Europa im Referendum von 1975 bestätigt. Der Beitrittsantrag Griechenlands zeigt, dass der Gedanke der europäischen Einigung auch in den europäischen Ländern, die noch außerhalb der Gemeinschaft leben, nichts an Anziehungskraft verloren hat. Das sehen wir auch auf der Iberischen Halbinsel. Die Gemeinschaft hat mit dem Abkommen von Lomé ihre Beziehungen zu 46 Ländern der Dritten Welt in vorbildlicher Weise geregelt. Sie hat in der Mittelmeerpolitik Fortschritte gemacht und im Hinblick auf Portugal gezeigt – übrigens: dort nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland als individueller Partner Portugals –, dass sie zu schneller und wirksamer Hilfe bereit ist.
Die schärfste Phase der weltweiten Rezession liegt hinter uns. Der Erfolg der europäischen Gemeinschaftsanleihe, unter der
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