Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
eigener Verantwortung der Parlamente, der Regierungen und der Sozialpartner in den neun Staaten angepackt werden. Ehe nämlich das Europäische Parlament auch nur eine einheitliche Betriebsverfassung – ich rede gar nicht von Unternehmensmitbestimmung – für ganz Europa bindend vorschreiben kann, wird noch sehr viel Wasser die Themse und die Seine und auch den Tiber hinunterfließen.
Wir müssen gleichzeitig neben diesen nationalen Anstrengungen nun allerdings den inneren Ausbau der Gemeinschaft und die Ausgestaltung ihrer Organe weiter voranbringen. Die Bundesregierung unterstützt die Grundlinien von Minister Tindemans’ Bericht, die auf schrittweisen Ausbau gerichtet sind, und dieses Haus ist sich darin ja offenkundig einig. Wir sind dafür, dass die Entscheidungen über Angelegenheiten der Römischen Verträge und die Entscheidungen der Außenpolitik in einem Zentrum zusammengeführt werden. Europa ist nur dann handlungsfähig, wenn es sowohl ökonomisch als auch außenpolitisch gemeinsam handelt, und dazu muss es sich selbst befähigen. Die europäische politische Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren in flexiblem Vorgehen bewährt. Konsultationsverpflichtungen und die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, sich in aller Regel nach dem Ergebnis gemeinsamer Beratung zu richten, sollte in Zukunft diese Zusammenarbeit verfestigen.
Mit dem Ausbau der Gemeinschaften meine ich allerdings in allererster Linie die Stärkung der demokratischen Grundlage durch direkte Wahl, durch Volkswahl des Europäischen Parlaments und dann die Erweiterung seiner legislativen Befugnisse. Mit ihrem Einsatz für die Direktwahl im Jahre 1978 – ich habe das in der ersten Sitzung des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs heute vor 16 Monaten vorgeschlagen – hat die Bundesregierung auch seither die Grenzen des uns Deutschen Möglichen voll ausgeschöpft. Der Bundesminister des Auswärtigen und ich haben zum Beispiel jetzt wieder in Luxemburg unseren Partnern erklärt, dass wir uns in allen noch offenen Fragen, überhaupt in allen Fragen, die die Direktwahl des Europäischen Parlaments betreffen einschließlich des Wochentags oder der Wochentage, an denen die Wahl stattfinden soll, vor allem aber, was die Aufteilung der Sitze unter die neun Staaten angeht, jedem Kompromiss anschließen und jeden Kompromiss hier vor dem Deutschen Bundestag vertreten würden, auf den die anderen sich einigen könnten.
Wir haben uns natürlich immer mit Präferenz eingesetzt für das vom Straßburger Parlament selbst erarbeitete Modell, den sogenannten Patijn-Bericht, aber unsere Bereitschaft auch zu jeder anderen Lösung haben wir immer wieder klargemacht. Trotz unseres sehr nachdrücklichen Einsatzes, zu einem Kompromiss zu gelangen, haben andere Regierungen – nicht alle – bisher keinen gemeinsamen Weg akzeptieren können, auch nicht den sehr intelligenten Kompromissvorschlag unseres Freundes Präsident Giscard d’Estaing, es ganz einfach bei der durch die Römischen Verträge und die Beitrittsverträge hergestellten Sitzverteilung zu belassen, wie sie heute und schon seit Jahr und Tag in Straßburg gilt, und sie gar nicht neu zu verhandeln. Nicht einmal die Beibehaltung der gegenwärtigen Sitzverteilung erschien allen Regierungen akzeptabel. Ich nehme an, Sie erkennen, dass unsere Seite, die natürlich auch diesen Vorschlag unterstützt hat, weil er Einigungsaussicht zu bieten schien, wirklich nichts unversucht lässt.
Wir arbeiten gleichzeitig beharrlich an Lösungen, welche die demokratischen, politischen, die parteilichen Kräfte in Europa sich auf einer gemeinsamen parlamentarischen Ebene formieren lässt. Das Beispiel Willy Brandts, der seine Kandidatur für das Europäische Parlament angekündigt hat, sollte auch anderswo durchaus Schule machen. Auch der kürzlich erfolgte Zusammenschluss der liberalen Parteien Europas und die offenbar bevorstehende Entwicklung bei konservativen und christlich-demokratischen Parteien Europas weist in die gleiche Richtung. Unter den Sozialdemokraten hat es das ja schon seit eh und je gegeben.
Vom Parlament zur Kommission: Auch die EG -Kommission muss – und ich denke: noch in diesem Jahr – gestärkt werden, in diesem Jahr dadurch, dass sich der Rat zunächst auf die Person des nächsten Kommissionspräsidenten einigt, denn am 1 . Januar kommenden Jahres wird ein neuer Präsident ins Amt treten. Dann haben die neun Regierungen allerdings dem designierten neuen Präsidenten erstmalig
Weitere Kostenlose Bücher