Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
allerdings unter einer entscheidenden Voraussetzung: Die jeweiligen eigenen ökonomischen und sozialen Anstrengungen der Partnerstaaten und ihrer Regierungen und Parlamente müssen so entschieden und so erfolgversprechend sein, dass insgesamt, das heißt einschließlich unserer zusätzlichen Beiträge, ein Fortschritt für Europa dabei herauskommt.
Jede Regierung und jedes Parlament in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft muss diesen Weg für sich selbst mit Entschlossenheit beschreiten. Die Gemeinschaft kann dies einstweilen den Mitgliedsstaaten nicht abnehmen. Das sind Entscheidungen, die in all den Hauptstädten in nationaler Verantwortung getroffen werden.
Aber die Gemeinschaft kann den Staaten dabei helfen. Zu diesem Zweck hat in Luxemburg die EG -Kommission dem Europäischen Rat Vorschläge zur umfassenden Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik vorgelegt. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen soll gegebenenfalls die Verweigerung von Gemeinschaftshilfen auslösen. Solche Vorstellungen waren zum Teil schon früher von den Mitgliedsstaaten theoretisch akzeptiert worden, sind jedoch praktisch leider kaum jemals befolgt worden.
Nur wenn und nur so weit dies gelingt, sind Vorschläge zur Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Wechselkurssystems sowie zur Verstärkung der Mittel und der Befugnisse des Europäischen Währungsfonds sinnvoll und Erfolg versprechend. Diese Überzeugung hatte die Bundesregierung schon in der dem Bundestag zugeleiteten Stellungnahme zum Tindemans-Bericht ausgedrückt, die ja im Auswärtigen Ausschuss – wenn ich es richtig sehe – ohne Widerspruch der Opposition in irgendeinem einzelnen Punkt einvernehmlich beraten werden konnte.
Unsere Partner waren vorige Woche in Luxemburg nicht in der Lage, konkrete Vorschläge für Leitlinien einer von jedem Mitgliedsstaat künftig zu verfolgenden Wirtschafts- und Währungspolitik anzunehmen. Vielmehr sollen sich die Fachministerräte damit beschäftigen. Ich habe die Notwendigkeit der Disziplin eindringlich vorgetragen erstens in Bezug auf das Wachstum der Geld- und Kreditvolumina in den einzelnen Mitgliedsstaaten, zweitens in Bezug auf die Haushaltspolitik, insbesondere die Finanzierungsmethoden der Budgetdefizite, drittens in Bezug auf die Kosten- und Einkommensentwicklung und die Einkommenspolitik in den Mitgliedsstaaten und viertens in Bezug auf die Zahlungsbilanzen. Ich habe von mehreren meiner Kollegen durchaus Zustimmung dazu erfahren.
Der Europäische Rat hat nach dieser Diskussion erfreulicherweise davon abgesehen, die Notwendigkeit der Besinnung auf solche ökonomische Disziplin durch Abgabe eines sehr allgemein gefassten Bekenntnisses zu relativieren. Ich sehe auch darin ein wichtiges Ergebnis jenes Meinungsaustauschs.
Die weitere Behandlung der Kommissionsvorschläge durch die zuständigen Minister sollte dazu führen, dass die dringend erforderlichen Folgerungen aus den in Luxemburg gewonnenen Erkenntnissen von den einzelnen Regierungen, die es angeht, gezogen werden.
Für unser Vorgehen in unserem eigenen Land bedeutet das: Wir müssen auch künftig eine vorbildliche Wirtschaftspolitik treiben, die gesicherte Arbeitsplätze schafft und die notwendigen sozialen Sicherungen und sozialen Strukturreformen ermöglicht. Wer rechtzeitig seine Sozialordnung und seine Wirtschaftsordnung den heutigen und den morgigen Notwendigkeiten anpasst, der braucht nicht nur über Kompromisse mit Kommunisten nicht nachzudenken. Die Staaten Europas haben zum Teil – um Herrn Hans Dieter Kloß von der »Stuttgarter Zeitung« zu zitieren – »versäumt, das kapitalistische Wirtschaftssystem rechtzeitig so zu verändern und dem Fortschritt anzupassen, dass es auch von denen mitgetragen wird, die zum notwendigen Kapital die notwendige Arbeit liefern«.
Ich stimme dem zu, was er so vor wenigen Tagen in einer Betrachtung über die unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Lage in den neun europäischen Staaten geschrieben hat.
Aber es ist ja bei all dem nicht zu spät. Vielmehr beginnen auch anderwärts in Europa viele Menschen damit, sich für die Erfahrungen mit modernen Gewerkschaften und einer modernen Sozialordnung zu interessieren. Ich drücke mich ganz zurückhaltend aus. Die dreiseitigen Konferenzen zwischen europäischer Unternehmerschaft, europäischen Gewerkschaften und den Regierungen dieser neun Staaten sind dabei ein gutes Hilfsmittel, das wir stärken und ausbauen wollen. Aber die eigentliche Aufgabe muss in
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