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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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die Amerikaner, Kanadier und die Russen –, jetzt zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus zurückgedrängt wird als eine Nebensächlichkeit, auf die es nicht ankommt. Denn die Themen, die in Stockholm zur Debatte stehen, sind weder aus Moskauer noch aus Washingtoner Sicht von erster oder zweiter Rangordnung. Auf diese Weise könnte dieser gegenwärtig einzige gesamteuropäische Ansatz an den Rand gedrängt werden.
    Es gibt eine zweite, vielleicht noch größere Gefahr, dass sich nämlich Washington und Moskau, zum Beispiel bei »Star-Wars«, bei START oder SALT   III , ohne Rücksicht auf europäische Interessen einigen, das heißt also auf unsere Kosten. Allgemeiner und weniger holzschnittartig ausgedrückt: Die Gefahr besteht, dass von den beiden Supermächten eine weitergehende stillschweigende Aufteilung der Welt in Interessensphären vorgenommen wird, wie das bisher schon für Europa der Fall war.
    Eine Aufteilung in Interessensphären könnte die Spaltung Europas machtpolitisch noch stärker befestigen, als das schon im ersten Kalten Krieg geschehen ist. Es ist also notwendig, aber auch möglich, dass die Europäer auf eine heute denkbare neue Entspannungsphase Einfluss nehmen. Dazu sind die Westeuropäer eher in der Lage als die Osteuropäer. Wir müssen Einfluss nehmen sowohl in Washington als auch in Moskau, damit die neue Entspannungsphase überhaupt zustande kommt – denn bisher ist sie ja nur angedeutet! – und damit in diesem Prozess die Interessen der europäischen Völker und ganz Europas berücksichtigt werden. Es geht darum, dass die Europäer wie schon in der Entspannungsphase der sechziger und siebziger Jahre erneut Handlungsspielräume gewinnen, die sie im Interesse der Wiederherstellung der europäischen Identität und der Beziehungen untereinander nutzen können.
    Zu alledem gehört politische Führung in Europa. Hier sind große Zweifel angebracht. Ich sehe gegenwärtig keine politische Führung, die aus Europa kommt; mir fällt niemand auf, den man in dem Zusammenhang nennen könnte. Symbolische Handlungen ersetzen das nicht; Händedrücke über Gräbern sind etwas menschlich Notwendiges, aber sie ersetzen nicht in die Zukunft Europas gerichtete politische Führung.
    Nach meiner Überzeugung bedürfte es einer starken französischen Rolle; die wird gegenwärtig nicht gespielt. Es bedarf der Beteiligung aus Italien oder Skandinavien, und sodann auch aus Polen, Ungarn und so weiter. Jedweder deutsche Alleingang würde zu schlimmen Enttäuschungen und Rückschlägen führen. Alle, die sich um Führung in dieser Richtung bemühen, müssen sich immer bewusst bleiben, dass man in Moskau nicht Ängste und Soupçon auslösen soll, sondern dass es hier – ich wiederhole es – eines hohen Minimums sowjetischer Duldung, wenn nicht sowjetischer Kooperation bedarf.
    Lassen Sie mich meine Überlegungen in acht Sätzen zusammenfassen:
    1 . Die heutige Spaltung Europas muss nicht das letzte Wort bleiben.
    2 . Aus Gründen der Machtpolitik anderer kann diese Spaltung durchaus endgültig werden.
    3 . Wenn wir Europäer diese Endgültigkeit verhindern wollen, kommt es für uns darauf an, die Kraft, die Weitsicht und die beschränkende Vernunft zu entfalten, unsere eigenen Handlungsspielräume zu erkennen und zu nutzen, um die europäischen Interessen eigenständig zu verfolgen. Die Frage ist offen, ob wir dazu in der Lage sind.
    4 . Es bedarf dazu auch der Kooperationsbereitschaft durch die Sowjetunion. Es ist ungewiss, ob diese selbst bei umsichtigstem Verhalten gegenüber Moskau und seinen Interessen erreicht werden kann. Dabei darf man weder die machtpolitische Zielsetzung der Sowjets unterschätzen, noch dürfen wir glauben, der Westen könne machtpolitisch die Sowjetunion aus Europa verdrängen. Beide Irrtümer könnten zu katastrophalen Konsequenzen führen.
    5 . Wir bedürfen eines Gleichgewichts der in Europa vorhandenen und von außen auf Europa einwirkenden machtpolitischen Faktoren, um auf der Basis des Gleichgewichts gesamteuropäische Entspannung, gesamteuropäische wirtschaftliche und kulturelle Kooperation voranzutreiben und dadurch die gesamteuropäische Identität zu bewahren.
    6 . Gleichgewicht ist verlässlich nur durch Rüstungsbegrenzungsverträge zu erreichen.
    7 . Damit bei den anstehenden Rüstungsbegrenzungsverhandlungen gesamteuropäische Interessen bewahrt werden, bedarf es gemeinsamer westeuropäischer operativer Einflussnahme auf diese Verhandlungen. Das gilt auch für

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