Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
erfolgreich gewirkt. Die Inflationsraten in allen Mitgliedsstaaten haben sich in dieser Zeit deutlich verringert. Die Schwankungen der Wechselkurse zwischen den am EWS teilnehmenden Ländern untereinander haben sich im Vergleich mit der einstmaligen »Währungsschlange«, vor allem aber im Vergleich zu den nicht beteiligten Währungen, besonders zum US -Dollar, aber auch zum Sterling, deutlich vermindert.
Der ECU (European Currency Unit) ist heute schon weit mehr als eine bloße Verrechnungseinheit und auch mehr als nur ein Embryo der zukünftigen einheitlichen Währung der EG . Denn er ist zu einer international begehrten privaten Anleihewährung und zum Bestandteil von Verträgen mit Geschäftspartnern auch außerhalb der EG geworden; der ECU steht mittlerweile an fünfter Stelle aller Währungen der Welt, in denen internationale Verträge abgeschlossen werden. Im Durchschnitt werden täglich Beträge in einer Größenordnung von 15 bis zwanzig Milliarden ECU zwischen Banken verrechnet.
Die Stabilität der Wechselkurse der im EWS zusammengeschlossenen Währungen hat einen überragenden politischen Grund. Da Wechselkursänderungen von den Regierungen förmlich beschlossen werden müssen, trifft diese auch die volle öffentliche Kritik und Verantwortung dafür. Wer seine eigene Währung abwertet, setzt sich dem Vorwurf eines zusätzlichen Inflationsschubs durch höhere Importpreise aus. Das ruft die Gewerkschaften auf den Plan. Die Scheu davor hat die Regierungen sanft aber wirksam zu größerer budgetärer Zurückhaltung und zur Disziplinierung ihres economic policy mix geführt, ohne dass es dazu irgendeines Eingriffs der EG in die nationale Budgethoheit bedurft hätte.
Dies zu erreichen, war eines der Hauptziele der Urheber des EWS . Die stark defizitäre Haushaltspolitik der französischen Regierung nach dem Mai 1981 , als man im Alleingang eine Wachstumspolitik zulasten der Stabilität betreiben wollte und infolgedessen mehrfache Abwertungen des Francs und Vertrauensverlust drohten, wurde deshalb alsbald durch die gleiche Regierung korrigiert. Das Beispiel demonstriert eindringlich, wie das EWS zur freiwilligen Harmonisierung der ökonomischen Politik führt.
Obgleich das EWS den zweiten Ölpreisschock 1979 / 80 fast mühelos bewältigt hatte, ist nach den Regierungswechseln in Paris 1981 und in Bonn 1982 lange Zeit keine ernsthafte Anstrengung zur Verwirklichung der damals vorgesehenen und schon zeitlich terminierten weiteren Stufen des EWS unternommen worden.
Erst auf Initiative des EG -Kommissions-Präsidenten Jacques Delors hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs 1988 einen erneuten Anlauf zum weiteren Ausbau des EWS unternommen. Man beauftragte eine Arbeitsgruppe unter seinem Vorsitz, darunter alle Zentralbankpräsidenten, mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge zur stufenweisen Realisierung der Wirtschafts- und Währungsunion. Der EG -Gipfel hat im Juni 1989 in Madrid die Vorschläge dieser Arbeitsgruppe erörtert und die Einleitung der ersten Stufe der sogenannten Delors-Vorschläge beschlossen. Die nächsten Schritte sollen zu einem späteren Zeitpunkt – nach Vorbereitung durch entsprechende Arbeitsgruppen – beraten und anschließend beschlossen werden.
Positiv ist zu dem Delors-Bericht anzumerken, dass er auf dem heute vorhandenen und funktionierenden EWS aufbaut. Ein weiterer Vorzug ist die Einstimmigkeit, mit der die Beteiligten den Bericht verabschiedet hatten; da die Mehrheit aus den Zentralbankpräsidenten der EG -Staaten bestanden hat, kann deren Konsens sich noch als sehr wertvoll für das weitere Prozedere herausstellen. Die Selbstbindung der Zentralbankpräsidenten, die in Sachen EWS bisher immer wieder erhebliche Probleme und Schwierigkeiten vorgetragen haben, ist ein wichtiger Fortschritt.
Andererseits sind des erstrebten Konsenses wegen im Delors-Bericht einige Fragen nur vage beantwortet worden; dadurch ist viel Spielraum für zukünftige Kontroversen offengeblieben. So kann sich eine empfindliche Schwäche allein aus dem Fehlen zeitlicher Vorstellungen für das Durchlaufen der ersten und der zweiten Stufe ergeben. Der Eintritt in die erste Stufe ist zwar für den 1 . Juni 1990 vorgesehen. Für die Errichtung einer vollen Währungsunion und einer einheitlichen Währung gibt es aber überhaupt noch kein Datum. Hier sollte der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments gefolgt werden, der als Datum den 1 . Januar 1995 vorgeschlagen
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