Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
hat.
Die Unwilligkeit des Delors-Komitees und des Madrider EG -Gipfels, sich hinsichtlich der endgültigen Phase eindeutig für den ECU als einzige Währung in der EG und für den vollständigen Ausbau einer Europäischen Währungsunion zu entscheiden – gleich ob im Sinne eines Systems der Europäischen Zentralbanken oder einer anderen Organisationsform – ist eine andere klare Schwäche der Madrider Entscheidungen. Damit bleibt weiterhin die Möglichkeit offen für eine unbegrenzte Fortführung der zwölf nationalen Währungen. Die Frage, wie dabei eine irreversible Festlegung der Wechselkursparitäten erreicht werden kann, bleibt ungelöst.
Dies ist nicht nur aus Gründen der Behinderung der weiteren Integration innerhalb der EG ein schwerwiegendes Versäumnis. Denn darüber hinaus bedürfen die inzwischen globalisierten Finanzmärkte dringend eines starken europäischen Zentralbanksystems und einer starken europäischen Währung. Die weltweite Spekulation hat unübersehbare Risiken mit sich gebracht: von den Offshorebanken, die wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, um den heimatlichen Bank- und Steuergesetzen und den nationalen Aufsichtsbehörden zu entgehen, oder der immer weiter um sich greifenden Praxis der Abfall-Anleihen (junk bonds) bis zur Las-Vegas-Mentalität vieler Investment-Banken bei der Finanzierung von raubfischartigen Firmenankäufen. Wer außerdem die durch keinerlei reale Wertunterschiede gerechtfertigten, wilden Dollar-Wechselkursschwankungen der letzten zehn Jahre in Erinnerung hat, der muss dringend wünschen, dass dem Dollar und dem Yen eine einzige und deshalb gewichtige europäische Währung und ein einziges europäisches Zentralbanksystem als stabiler Anker gegenübergestellt werden. Dafür sollte allerdings nicht die D-Mark in Betracht kommen, sondern vielmehr der ECU . Wer jedoch stattdessen die D-Mark als Stabilitätsanker propagiert, der ist unter außen- und europapolitischem Aspekt ein Narr! Man kann nicht oft genug wiederholen: Währungspolitik ist immer zugleich auch Außenpolitik.
Alle wirtschaftsgeschichtlichen Erfahrungen sprechen für eine einzige Währung in der EG . Man stelle sich den Binnenmarkt der USA mit fünfzig verschiedenen einzelstaatlichen Währungen vor: Der inneramerikanische Markt hätte niemals die Bedeutung und Dimension erreicht, welche die USA heute zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt haben aufsteigen lassen. Ähnliches gilt für die Sowjetunion. Schon im klassischen Römischen Reich war der gemeinsame Markt selbstverständlich nur deshalb so effektiv, weil von Spanien bis Palästina ein und dieselbe Währung gegolten hat.
Zu den Vorzügen des Delors-Berichts gehören die vorgeschlagene föderative Struktur des europäischen Zentralbanksystems, die den Modellen der deutschen Landeszentralbanken und der Deutschen Bundesbank oder der föderativen Struktur des amerikanischen Federal Reserve Systems nachempfunden ist, und das klare Bekenntnis zur politischen Unabhängigkeit des zukünftigen Zentralbanksystems. Nur ein von Weisungen unabhängiges Zentralbanksystem kann die Geldmenge innerhalb eines gemeinsamen Marktes so steuern, dass das Preisniveau relativ stabil bleibt.
Wir Deutschen haben spätestens seit 1919 (und die Sowjets seit Gorbatschows Perestrojka) begriffen: Ein Staat, der zusätzliches Geld druckt oder entstehen lässt, ohne dass in gleichem Maße am Markt zusätzliche Ware zur Verfügung steht, verursacht Preissteigerungen. Dasselbe gilt ähnlich auch für Lohnerhöhungen, die nicht durch Produktivitätsfortschritte oder durch Senkung der übrigen Kosten aufgefangen werden können: Wenn in einem solchen Fall die Zentralbank die Geldmenge nicht vergrößert, so entsteht die Gefahr von Absatzstockungen und Arbeitslosigkeit; wenn aber die Zentralbank deshalb die Geldmenge erhöht, so führt dies zur Inflation.
Inflation entsteht auch, wenn ein Staat durch kreditweise Finanzierung seines Haushaltsdefizits einen zu hohen Anteil der Geldmenge und infolgedessen des Sozialprodukts beansprucht und wenn in solchem Falle die Notenbank veranlasst wird, mehr Geld freizugeben, als für die Aufrechterhaltung des bisherigen Preisniveaus zuträglich ist. Beispiele dafür haben wir in Europa vielfältig erlebt.
In Deutschland haben wir in und nach beiden Weltkriegen schlimme Erfahrungen mit Inflationen gemacht. Als der Deutsche Bundestag im Jahre 1957 das Bundesbankgesetz verabschiedete, wurde deshalb der Bundesbank weitestgehende Autonomie in
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