Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
dürfen politisch nicht durchschlagen.
Das Delors-Komitee hat nicht überzeugend begründet, warum es eine Zwischenphase ablehnt, während welcher der ECU als Parallelwährung neben die nationalen Währungen tritt, um diese schrittweise zu verdrängen. Diese Ablehnung schließt einen praktischen Weg aus, den die internationalen Anleihemärkte schon längst gegangen sind.
Zu den Nachteilen des Delors-Berichts gehört die künstliche Unterscheidung zwischen der Wirtschaftsunion und der Währungsunion. Tatsächlich kann die erste ohne die letztere nicht voll funktionsfähig werden. Die theoretische Unterscheidung ist ein deutliches Echo auf die sogenannte Krönungstheorie, die von einigen Mitgliedern des Frankfurter Zentralbankrates vertreten wird. Wenn die Währungsunion erst als »Krönung«, also erst nach Abschluss aller anderen integrativen Schritte in Europa in Kraft treten soll, so wird das bedeuten, diesen Schritt möglichst spät zu tun, vielleicht gar erst am Sankt-Nimmerleins-Tag. Das würde aber dann ebenso die Herstellung des gemeinsamen Marktes auf unbestimmte Zeit verschieben. Denn ein gemeinsamer Markt mit zwölf verschiedenen Währungen ist keiner!
In Brüssel besteht die Gefahr allzu vieler, allzu detaillierter, allzu bürokratischer Regulierungen. Damit allein kommt man nicht weit. Im Jahre 1993 wird sich daher mancher fragen, worin denn nun eigentlich 1992 der qualitative Sprung gelegen hat; und mancher wird voraussichtlich den Unterschied zwischen 1992 und 1993 gar nicht bemerken.
Die Schaffung einer gemeinsamen Währung muss deshalb ökonomisch, politisch und psychologisch ein vorrangiges Ziel der EG sein. Was immer an den Delors-Vorschlägen zu kritisieren ist: Der Eintritt in die erste Phase muss zum 1 . Juli 1990 vollzogen und die weiteren Schritte und Stufen müssen terminiert werden. Die Bürger, die Unternehmer, die Banker und die Steuerzahler haben einen Anspruch darauf zu wissen, wie und wann es mit Europa weitergeht.
Deutschlands Rolle im neuen Europa ( 1991 )
Im September 1991 , drei Monate vor den entscheidenden Beratungen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Maastricht, sprach Helmut Schmidt vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bonn-Bad-Godesberg über die Konsequenzen, die sich aus der deutschen Vereinigung für den Fortgang des europäischen Integrationsprozesses ergaben.
D ie Lage in Europa ist gegenwärtig verworren und unübersichtlich. Ihre Entwicklung ist nicht zu prognostizieren – wie das eigentlich immer der Fall ist beim Verfall eines Imperiums. Wir haben in diesem Jahrhundert bisher den Verfall von fünf Weltreichen erlebt, oder sagen wir etwas bescheidener: von fünf Imperien.
1918 ging endgültig das Osmanische Reich zugrunde, dessen Verfall zu Beginn des 19 . Jahrhunderts angefangen hatte. Sie werden sich an Bismarcks Berliner Kongress im Jahre 1878 erinnern. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs redete schon jedermann vom kranken Mann am Bosporus, 1918 kam das Ende. Heute sehen wir immer noch die Folgen und die Konflikte im Mittleren Osten und auf dem Balkan, die aus dem Untergang des Osmanischen Reiches herrühren. Vieles an Konflikten, was wir in diesen beiden Regionen erleben, hätten wir in der heutigen Form bestimmt nicht erlebt, wenn es das Osmanische Reich noch gäbe. Ähnliches gilt für das Ende des Österreichisch-Ungarischen Reiches der Habsburger. Seine Folgen im Osten Mitteleuropas und auf dem Balkan, auch in Jugoslawien, die virulenten Streitigkeiten zwischen den Nationen und Nationalitäten, wären so möglicherweise nicht eingetreten, wenn es das Österreichisch-Ungarische Reich noch gäbe. Schauen wir drittens auf Hitlers Großdeutsches Reich und viertens auf das japanische Imperium, beide kurzlebig mit totaler Gewalt errichtet, sodann in einem totalen Krieg total besiegt, zerstört und total zerbrochen. Auch in diesen beiden Fällen sind die Folgen heute noch nicht überwunden, obwohl fast ein halbes Jahrhundert seither vergangen ist – weder in Korea noch in China, weder in der Isolierung Japans noch in Mitteleuropa, ich denke dabei besonders an die Besorgnis vieler Europäer vor einer Wiederkehr deutscher Großmannssucht. In allen diesen vier Fällen – übrigens ähnlich wie zu Beginn des 19 . Jahrhunderts beim Zusammenbruch des kurzlebigen napoleonischen Imperiums – war der Kollaps der Großreiche die unmittelbare Folge eines verlorenen Krieges, für dessen Beginn die imperialen Machthaber
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