Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
geldpolitischer Hinsicht eingeräumt; deshalb kann sie souverän über eine große Zahl von binnen- und außenwirtschaftlichen Instrumenten verfügen. Es gibt auf der Welt nur ganz wenige Staaten, deren Notenbanken eine ähnlich große, unabhängige Handlungsfreiheit besitzen. Die binnenwirtschaftliche Preisstabilität der D-Mark ist im internationalen Vergleich der Inflationsraten seit langen Jahrzehnten eindrucksvoll. Hieraus leitet sich das Hauptargument zugunsten der Unabhängigkeit eines zukünftig föderativen Europäischen Systems der Zentralbanken ab.
Gegen die Unabhängigkeit werden auch Einwände vorgetragen. So fürchtet beispielsweise die englische Premierministerin Margaret Thatcher Kompetenzverluste, da sie an die überkommene Abhängigkeit der Bank of England von der britischen Regierung gewöhnt ist; dabei kleidet sie ihre Ablehnung in das Argument vom angeblich unzumutbaren nationalen Souveränitätsverzicht. Es handelt sich um das fast schon traditionelle britische Zögern vor jeder Integrationsschwelle in Europa. England wird einer weitergehenden Integration in Europa immer erst dann beitreten, wenn deren Erfolg unverkennbar geworden ist und wenn deshalb eine weitere Enthaltung dem Vereinigten Königreich unverkennbar mehr Nach- als Vorteile einbringt.
Die Tatsache, dass die Nichtteilnahme am heutigen EWS überdurchschnittliche Wechselkursschwankungen des Sterling bei gleichwohl hoher britischer Arbeitslosigkeit nicht verhindert hat, spricht eindeutig gegen Margaret Thatchers Argument. Wer die relative Instabilität des Sterling-Wechselkurses oder die relativ hohen englischen Inflationsraten vor Augen hat, der kann von Frau Thatchers Argument kaum beeindruckt sein. Für viele englische Bankfachleute und Politiker ist deshalb der Zeitpunkt für den Beitritt zum EWS in seiner jetzigen, noch unfertigen Gestalt angesichts dessen unbestreitbaren Erfolges schon heute gekommen. Die übrigen Staats- und Regierungschefs täten nicht gut daran, Englands Beitritt durch Zugeständnisse erkaufen zu wollen, die den EWS -Prozess verzögern oder gar verwässern könnten; denn das Vereinigte Königreich wird ohnehin über kurz oder lang aus eigenem Interesse beitreten.
Der andere Einwand gegen die Unabhängigkeit des Europäischen Zentralbanksystems hat bisher in Frankreich eine gewisse Rolle gespielt. Danach hat sich die Bundesbank durch ihre Unabhängigkeit zu einer ausschließlichen Fixierung auf das Ziel der binnenwirtschaftlichen Preisstabilität und zur Vernachlässigung der anderen im Vertrag von Rom festgelegten gesamtwirtschaftlichen Ziele verführen lassen: nämlich hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht herzustellen. In Deutschland kann nach der Überwindung der beiden Ölpreisschocks, also seit Anfang der achtziger Jahre, in der Tat von hoher Beschäftigung keine Rede sein. Auch das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts ist bei uns seit Jahren missachtet worden. Die unerhörten deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind außenpolitisch gefährlich und weltwirtschaftlich widersinnig. Angesichts der hohen weltwirtschaftlichen Verflechtung der EG wären ähnliche Auswirkungen einer unabhängigen Europäischen Zentralbank für die ganze EG abträglich. Ihnen sollte deshalb durch vertragliche Definition der Aufgabenstellung des Systems – im Sinne des sogenannten magischen Drei- oder Vierecks – vorgebeugt werden. Am Prinzip der Unabhängigkeit des Systems der europäischen Zentralbanken sollte aber auf jeden Fall festgehalten werden.
Einige der beteiligten Regierungen zögern noch, zumeist unter dem Einfluss ihrer nationalen Zentralbank. Dies gilt vor allem für die Bundesbank. Die große Mehrheit der Mitglieder ihres Zentralbankrates wäre im zukünftigen System nicht mehr einer souverän entscheidenden Ebene zugehörig; sie haben also Zuständigkeiten zu verlieren. Hierin liegt der Hauptgrund für ihren Widerstand gegen jeden Ausbau des EWS . Ihre Vertreter argumentieren dabei national-ökonomisch und nicht international-ökonomisch.
Für die weltpolitische, die gesamteuropäische, den langfristigen deutschen Interessen dienende Qualität der EG fehlen manchen der beteiligten deutschen Politiker leider noch die Weitsicht und die Fähigkeit zur Gewichtung der von der Bundesbank vorgetragenen Argumente, die tatsächlich deren Kompetenz entspringen. Die negativen Argumente der Bundesbank sind nicht besser als diejenigen der britischen Premierministerin, beide
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