Mein Flirt mit der Blutfrau
hatte sich verändert. Sein Gesicht zeigte eine unnatürliche Blässe, die Augen wirkten groß, ängstlich und gleichzeitig wissend.
Ja, es kam mir vor, als wüßte er irgend etwas oder würde über eine bestimmte Sache nachdenken.
»Sie kennen mich«, sagte ich.
»Si.« Er nickte zögernd.
»Ich möchte mich gern mit Ihnen unterhalten.«
Er überlegte und fragte dann: »Jetzt?«
»Wenn es möglich ist?«
»Meinetwegen, Señor. Ich bin Juan, das wissen Sie. Aber Sie können ruhig Du zu mir sagen.«
»Einverstanden.«
Juan schaute den Capitán an. Der verstand seinen Blick und nickte. »Ich habe nichts dagegen. Señor Sinclair ist…«
»Ein Gast«, sagte ich schnell. »Ein ganz normaler Gast.«
Der Spanier lächelte breit. »Natürlich, ein völlig normaler Gast. Also, Juan, wir sind fertig miteinander. Wenn noch Fragen offen sind, wissen wir ja, wo wir dich finden können.«
»Dann gehen wir weg?«
»Hier ist es mir zu ungemütlich. Es gibt doch sicherlich eine Bodega, in der man ungestört reden kann.«
Er stand auf. Den anwesenden Beamten warf er scheue Blicke zu, dann öffnete er die Für.
»Sie geben mir Bescheid, Sehor Sinclair?«
»Selbstverständlich.«
»Viel Glück.«
Ich hob die Hand zum Gruß und eilte Juan nach, der vor der Polizeistation auf mich wartete, die Hände in die Hosentaschen geschoben hatte und in den Himmel schaute.
»Du mußt mir den Weg zeigen, Junge.« Er reagierte nicht auf die Bemerkung. »Die Sonne«, sagte er leise. »Ich liebe die Sonne.«
»Ja, ich ebenfalls.«
»Aber manche Menschen nicht.«
»Wie meinst du das?«
Er blickte mich aus seinen dunklen Augen an und winkte ab. »Nur so«, sagte er und fügte noch hinzu. »Meine Tante wird jetzt eine andere Sonne sehen, glaube ich. Die ewige…«
»Das kann sein, Juan. Du hast sehr an ihr gehangen, nicht wahr?«
Er schob die Hände in die Hosentaschen und ging los, ohne mir eine Antwort gegeben zu haben. Das Schweigen reichte mir auch schon. Es zeigte mir an, daß ihn der Tod seiner Tante tatsächlich tief getroffen hatte.
Nach wenigen Schritten hatte ich ihn eingeholt. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Den Trubei in Etula nahmen wir kaum wahr. Wir kamen uns vor wie Menschen, die allein unterwegs waren. Ich hütete mich auch, jetzt schon Fragen zu stellen. Vielleicht kam Juan innerlich zur Ruhe.
»Wo ist es? Wo werden wir denn hingehen?« fragte ich nach einer Weile.
»Gleich.«
Das reichte als Antwort. Er hielt den Kopf gesenkt. Hin und wieder hörte ich, wie er sich räusperte. Juan stand jetzt allein auf der Welt. Ich hätte verstehen können, wenn er geschrien hätte. Er schien mir trotz seines Schmerzes und der Trauer auf eine gewisse Art und Weise nachdenklich zu sein.
Die Seitenstraße führte uns zu einem kleinen Platz. Wenn die Bäume Blätter trugen, bot er im Sommer ein Plätzchen zum Ausruhen im Schatten. Zwei Männer waren dabei, die aufgestellten Bänke abzuputzen.
Juan führte mich auf einen schmalen Eingang zu. Ich hätte die Tür übersehen. In dieser Bodega fand ich bestimmt keine Touristen, und so war es denn auch.
Ein Schlauch nahm uns auf. Die Maschen eines an der Decke herabhängenden Fischernetzes streifte mein Haar. An der Theke saßen zwei ältere Männer. Im Hintergrund hockte ein Mann in Arbeitskleidung am Tisch und aß Weißbrot mit einer Soße.
Der Wirt winkte Juan zu. Seinem Gesicht sah ich an, daß auch er schon wußte, was mit Esmeralda Pinosa geschehen war. »Was kann ich bringen?« fragte er, als wir unsere Plätze eingenommen hatten. Ich entschied mich für ein Wasser, wollte aber zuvor einen Kaffee trinken.
Juan nahm nur Wasser.
Er schaute mich traurig an. »Wer sind Sie?« fragte er leise.
Ich lächelte milde. »Gast im Hotel del Sol.«
»Das weiß ich. Und wer noch?«
»Ich komme aus London.«
»Und Sie kennen Lavinia di Luna?«
»Das stimmt. Nur habe ich sie erst hier in Etula kennengelernt. Ich sah sie zum erstenmal auf dem Friedhof, als dort jemand zu Grabe getragen wurde.«
Juan horchte auf. »Friedhof?« wiederholte er. »Wieso das? Was hat sie auf dem Friedhof zu suchen gehabt?«
»Sie ist dort spazierengegangen — möglicherweise.«
»Si, das kann sein.«
Das Zischen der Espresso-Maschine unterbrach unseren Dialog für einen Moment. Als der Wirt die bestellten Getränke brachte, knarrten die Bohlen des dunkel gebeizten Fußbodens.
Schweigend stellte er sie vor uns hin. Juan nahm einen ersten Schluck. Ich sah seine großen Augen auf mich
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