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Mein Frankreich (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Mein Frankreich (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Mein Frankreich (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sloterdijk
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Okzidentalisten und virtuell auch schon die USA und China – er könnte nur lauten: Macht es wie wir, interessiert euch nicht zu sehr füreinander! Und achtet bei der Auswahl von Auslandskorrespondenten für eure Zeitungen, die aus dem jeweiligen Nachbarland berichten, darauf, nur solche Journalisten auszuwählen, bei denen man sicher sein kann, daß sie ihr Publikum zu Tode langweilen! Nur so können die glücklich Getrennten in Freundschaft und Frieden miteinander leben.
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    10 Gegenprobe: Wo mehr Kenntnisse sind, dort nehmen die Gereiztheiten signifikant zu. Dann wirkt die maligne Faszination durch scheinbar unentbehrliche Feindbilder antizyklisch weiter (wie etwa Heidegger und Schmitt sie noch immer manchen französischen Autoren liefern).
    11 René Girard, Achever Clausewitz, Paris 2007.
    12 René Girard, Achever Clausewitz, a.a.O., S. 242: »Die allgemeine Mobilmachung ist der pure Wahnsinn.«

Von wo an Lacan sich irrt
    Die von Anbeginn problematische Imago-Orientiertheit der psychoanalytischen Beziehungs-Theorien wurde durch Jacques Lacan mit seinem legendären Theorem vom Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion 1 von 1949 ins Extrem getrieben. Lacan setzt ein frühkindliches Befinden voraus, das immer schon geschlagen ist von der Unmöglichkeit, sich selbst zu ertragen. Für Lacan ist jeder Säugling von unheilbaren Vernichtungszuständen zersplittert. Die Psychose ist seine Wahrheit und Wirklichkeit, von Anfang an und unausweichlich. Er stürzt in die Welt, ohnmächtig und verraten, als der immer schon zerstückelte Körper, der seine Fragmente kaum zusammenzuhalten vermag. Die Wahrheit wäre, daß die Zerstückelung der Ganzheit vorausginge und daß einer Urpsychose überall das erste Wort gehörte. Für ein so von Grund auf dissoziiertes, in seiner Verlorenheit gärendes Wesen müßte begreiflicherweise – läßt man sich für einen Moment auf die Suggestionen des Analytikers ein – der Anblick seines eigenen umrißstabilen Bildes dort drüben im Spiegel überaus erbaulich sein, weil das Subjekt sich in jenem imaginären Dort endlich und zum ersten Mal als Ganzform ohne Riß und Makel wahrzunehmen vermöchte. Das Selbstbild im Spiegel käme hier als Befreier von einem unerträglichen Selbstgefühl ins Spiel. Erst das Bild dort im Spiegelraum bewiese mir, gegen mein evidentes Selbstgefühl, daß ich kein Monstrum bin, sondern ein wohlgeratenes Menschenkind in den schönen Grenzen seiner organischen Gestalt. Sich im Spiegel als »das bin ja ich selbst« erkennen hieße demnach: das mit einem Male aufblitzende Bild anzulachen, seine Integrität als Heilsbotschaft zu vernehmen und jubelnd befreit in einen imaginären Ganzbildhimmel emporzufahren, in dem die vorangehende wirkliche und wahre Zerrissenheit nie mehr eingestanden werden müßte. Endlich könnte das Infans seine demütigende Zerstückelung und seine tobende Ohnmacht hinter sich lassen; es wäre ihm mit einemmal gegeben, neu-unverwundbar durchs Spiegelglas hindurch in den Bildraum hinauszuschweben und wie ein transfigurierter Held ins Reich einer wahnhaften Integrität einzugehen – strahlend erlöst von dem elenden Primärzustand, in den es von nun an nie wieder zurückkehren zu müssen meint, vorausgesetzt, daß der Traumschild des inkorruptiblen Bild-Ichs sich gegen alle späteren Störungen behauptet. Demnach müßte die Ich-Entwicklung stets und unvermeidlich mit einer rettenden Selbstverkennung einsetzen: Die imaginäre Erscheinung dort draußen und drüben – mein Bild als heiles, ganzes, rettendes – holte mich, indem ich nun es radikal an meiner Statt annehme, aus der bildlosen Hölle meines gespürten Frühlebens heraus und böte mir das wunderbar trügerische Versprechen, künftig immer auf dieses Bild zu – wie unter Illusionsschutz – leben zu dürfen. Mein illusionäres Bild von mir dort draußen in der Sichtbarkeit – im Imaginären oder im verklärten Visuellen – wäre durch seine Wohlgeratenheit und Ganzheit gleichsam ein für mich allein verfaßtes Evangelium, es wäre ein Versprechen, das mich vorwegnimmt und mich konsolidiert. Sobald ich es in mich aufgenommen hätte, läge es auf dem Grund meiner selbst als frohe Botschaft von meiner Auferstehung aus der Frühvernichtung. Mein Bild, meine Urtäuschung, mein Schutzengel, mein Wahn.
    Es läßt sich ohne Aufwand zeigen, daß dieses berühmteste frühe Theoriestück aus dem Korpus der Lacanschen Doktrinen eine glanzvolle Fehlkonstruktion darstellt – errichtet auf

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