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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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Glaubensbekenntnis.

    In dieser Nacht, als Maya im Schlaf die Füße bis zur Bettkante ausstreckte, merkte sie, daß sie dort etwas Warmes berührte.Sie richtete sich auf und tastete. Eine mit tiefen Atemzügen schlafende kleine Gestalt. Sie mußte träumen. Sie knipste das Licht an. Der Junge, die Hand übers Gesicht gebreitet, rührte sich nicht.
    Sie deckte ihn zu, und er drehte sich um und zog sich die Decke über den Kopf. Das Mondlicht erleuchtete die Bäume im Garten.
    Später, als das Zimmer ein wenig Farbe annahm, schob sie ihn unter das Moskitonetz, schmiegte sich an ihn und merkte, wie seine Schultern sich entspannten und seine Füße nach ihren Beinen suchten.

    *

    Am letzten Junitag, als die kochende Hitze jeden Augenblick vom Monsun abgelöst werden konnte, überredete Rehana Maya, das Haus zu verlassen, und stellte sich mit ihr vor das großartigste neue Gebäude der Stadt.
    »Das ist ja scheußlich«, sagte Maya und beschattete die Augen mit der Hand. »Ich finde es furchtbar.«
    »Na komm, Kind, jetzt sei nicht so hart.«
    »Scheußlich.« Sie ließ den Blick schweifen, um das ganze Riesengebäude überblicken zu können. »Ist das Wasser?«
    »Ja, es ist inmitten eines großen Wasserbeckens gebaut, wie eine Seerose, die auf dem Wasser schwimmt.«
    »Aber warum ist es bloß so gigantisch?«
    »Ist doch egal, jedenfalls ist da drin jetzt unser Parlament. Der nette amerikanische Architekt hat das gebaut.«
    »Kann ja sein, aber mir gefällt es trotzdem nicht«, beharrte Maya, ging aber trotzdem weiter auf das Parlamentsgebäude zu und die breite Treppe hoch. »Wo ist denn hier der Eingang?«
    »Das weiß ich nicht. Man darf nicht reingehen, man soll es von hier aus bewundern.«
    Sie wandten dem Parlamentsgebäude den Rücken zu und sahen sich die Parkanlage rundherum an. Der Rasen erstrecktesich im Osten bis zur Sher-e Bangla Nagar, im Westen bis zur Mirpur Road. Die Anlage war beeindruckend, das ließ sich nicht bestreiten. Die Bäume wirkten jetzt schon uralt. Überall im Park waren Paare zu sehen, die unter einem Baum ein wenig Schatten suchten und Händchen hielten. Auf einem Stück Rasen an der Hauptstraße hatte ein Phuchkaverkäufer seinen Karren abgestellt. Er winkte die beiden Frauen heran. »Hast du Hunger, Ma?« fragte Maya.
    Sie ließen sich auf den roh zusammengenagelten Stühlen nieder und bestellten zwei Portionen der fritierten Teigbällchen. Die jetzt bereits tiefstehende Sonne warf horizontale Lichtbänder über den großen grünen Teppich vor dem Regierungsgebäude. Maya wünschte sich auf einmal, sie wäre weit weg; ihre Augen sehnten sich nach den Obsthainen Rajshahis und ihrem kleinen Backsteinhäuschen. Sie fragte sich, ob Nazia sie wohl noch einmal anrufen würde; das war mühsam, sie mußte dem Postbeamten Geld geben, und der mußte die Nummer für sie wählen. »Das kleine Dorf war schon eine Art Heimat für mich«, sagte sie unvermittelt, den Blick in die Ferne auf das Gebäude gerichtet, dessen graue Kurven und die Art, wie es massiv und doch filigran zugleich über dem amerikanischen See schwebte, sie immer noch nicht recht akzeptieren konnte.
    »Ja, das wird nicht leicht sein, das alles hinter sich zu lassen«, erwiderte ihre Mutter. Ich kann ja immer noch zurückgehen, dachte Maya. Ich kann alles zusammenpacken, die Tür hinter mir zumachen und wieder Landärztin werden.
    Die Phuchkas wurden serviert, ein Dutzend fritierte, mit einer Mischung aus Kichererbsen und Kartoffeln gefüllte Bällchen. Maya goß die Tamarindensoße darüber und steckte eines davon in den Mund. Es war so scharf, daß ihre Augen augenblicklich anfingen zu tränen.
    »Oh«, sagte Rehana, »er hat zu viele Chilis reingetan.« Sie winkte den Phuchkaverkäufer herbei.
    »Nein, laß doch, Ammu, sie sind genau richtig«, sagte Maya und wischte sich die Nase. »Wirklich. Absolut delikat.« IhreMutter reichte ihr ein Taschentuch. »Ich hatte ganz vergessen, wie lecker die sind.« Ein Auto nach dem anderen fuhr auf dem breiten Boulevard vor dem Parlamentsgebäude vorbei. Zwischen den Phuchkabissen hörte Maya Autohupen und die Fahrradklingeln an den Rikschas, wenn sie um die Ecke bogen oder die Spur wechselten, und alle paar Minuten den Dhanmondi-Gazipur-Bus, der sich bedenklich nach einer Seite neigte, weil so viele Passagiere tarzanartig draußen an den Haltestangen hingen.
    Als ihr der fritierte Teig so köstlich auf der Zunge zerging und das schräge Sonnenlicht die Wange ihrer Mutter lachs- und

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