Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
den Salon betreten? War es ratsam, die Tür aufzureißen und die beiden Streithähne genau ins Auge zu fassen? Während er noch überlegte, kam Ruth Levan auf ihn zu. Ihre blonden Haare leuchteten hell durch das Dämmerlicht. Die blauen Augen blickten erschreckt auf den Besucher.
„Was wollen Sie hier?“ fragte sie unruhig.
„Sie haben mich doch eingeladen, jederzeit wiederzukommen. Da bin ich nun. Störe ich?“
Ruth Levan biß sich auf die Lippen. Die streitenden Stimmen schienen ihr furchtbar auf die Nerven zu fallen. Scheu blickte sie in Richtung des Empfangssalons.
„Kommen Sie später wieder“, raunte sie nervös. „Vater hat eben Besuch. Sie hören es ja selbst.“
Sie hatte kaum ausgesprochen, da wurde jäh die Tür des Salons aufgerissen. Ein Mann mit hagerem Gesicht und stechenden Augen stürzte heraus. Es war Sam Lupin. Gehetzt und mißtrauisch blickte er durch die Halle. Als er Ray Mortimer erkannte, flog ein gehässiges und gemeines Grinsen über sein Gesicht. Er wollte etwas sagen, aber dann besann er sich anders. Hastig drückte er sich an dem Gelben vorbei durch das Portal. Ray Mortimer starrte ihm ungläubig nach.
„Was hat Sam Lupin bei Ihrem Vater zu suchen?“ fragte er rasch. „Machen die beiden etwa dunkle Geschäfte? Er war vier Jahre in Singapore, und gerade von dort kommen die verhängnisvollen Rauschgiftsendungen. Hat Ihr Vater vielleicht . . .“
Ruth Levan überhörte seine Fragen. „Gehen Sie doch“, drängte sie mit flackernder Stimme. „Sie würden sich bei meinem Vater die letzten Sympathien verderben, wenn er Sie jetzt hier sieht.“
Ray Mortimer wandte sich zögernd dem Ausgang zu. Als er einen Blick auf die rechte Wandseite warf, sah er, daß das Bild Pancras Eversleys verschwunden war.
„Wollen Sie Ihren Bräutigam nicht mehr sehen?“ fragte er verwundert. „Warum haben Sie denn sein Bild entfernt?“
„Vielleicht will ich ihn wirklich nicht mehr sehen“, meinte Ruth Levan mit verkrampftem Lächeln. Sie stand plötzlich neben ihm und benahm sich nicht gerade damenhaft. Sie kam ihm so nahe, daß er den feinen Duft ihrer Haut spüren konnte.
„Wir sollten Freunde werden, Mr. Mortimer“, raunte sie impulsiv. „Ich würde gern einmal mit Ihnen ausgehen. Führen Sie mich in eine Bar, in der wir keine Bekannten treffen. Sie werden dann sehen, daß ich nicht immer so kühl und unnahbar bin wie hier.“
Ray Mortimer betrachtete sie kopfschüttelnd von oben bis unten. Es ist Bestechung, dachte er. Sie will mich einseifen. Ich soll nicht mehr an Sam Lupin denken. Ich soll seinen Besuch vergessen. Ich soll schweigen. Er grüßte sie flüchtig zum Abschied und verließ dann das Haus auf schnellstem Wege. Als er die Gartenpforte hinter sich schloß, sah er plötzlich Mara Revell vor sich stehen. Sie hatte auf ihn gewartet. Mit verlegenem Lächeln kam sie näher.
„Was tust du hier?“ fragte er verblüfft.
Mara Revell wurde rot. „Ich dachte, du würdest nicht mehr kommen“, sagte sie verwirrt. „Ich hatte Angst um dich. Deshalb bin ich hier. Gehst du mit nach Hause?“
Ray Mortimer schüttelte den Kopf. „Ich will mich noch einmal in Samsons Chinesenhotel umsehen. Möchte meine Koffer holen. Vielleicht finde ich auch sonst noch ein paar brauchbare Sachen. Werde die Bude Zoll um Zoll durchsuchen.“
„Nimm mich mit“, bat Mara eindringlich. „Geh nicht allein. Du weißt, wie gefährlich es dort ist.“
„Eben dieser Gefahr möchte ich dich nicht aussetzen“, sagte Ray Mortimer begütigend. „Ich werde schon vorsichtig sein. Ich habe die Waffe dabei, die du mir gegeben hast.“
Er setzte seinen Willen durch. Er schickte das Mädchen nach Hause. Erst als er sie im Autobus wegfahren sah, fühlte er sich wirklich beruhigt. Langsam wanderte er auf die City zu. Er hatte Zeit. Vor Einbruch der Nacht wollte er Samsons Chinesenhotel nicht betreten. So drückte er sich bis zum Abend an der Themse herum und besuchte einige kleine Lokale. Als die Dämmerung sank, betrat er das primitive Chinesenhotel in Cubitt-Town. In der kleinen Vorhalle hielt sich niemand auf. Nur der gelbe Portier schielte ihm lauernd entgegen.
„Was wollen Sie?“ fragte er lispelnd.
„Die Wohnungsschlüssel“, gab Ray Mortimer gelassen zur Antwort. „Möchte meine Sachen packen und dann ausziehen.“
Der Chinse grinste tückisch. „Warum ausziehen?“ fragte er in hämischem Tonfall. „Gefällt es Ihnen nicht mehr bei uns?“
Ray Mortimer verzichtete auf eine weitere Antwort.
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