Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
Er nahm seine Schlüssel in Empfang, ging durch die Hintertür, überquerte den dunklen Hof und trat in den einstöckigen Anbau ein. Kurz darauf machte er sich an die Arbeit. Er packte seine Sachen. Er durchsuchte noch einmal die Zimmer. Hoffnungsvoll ging er seiner Beschäftigung nach. Diesmal glaubte er unbedingt, etwas zu finden. Zur gleichen Stunde war Cilly Saddler in der Sodom Bar mit dem Spülen von Gläsern beschäftigt. Sie tat ihre Arbeit mechanisch und freudlos. Irgend etwas schien sie zu bedrücken. Ihr hübsches Gesicht lag in dunkle Schatten getaucht. Als ein leichter Schritt neben ihr erklang, hob sie rasch den Kopf. Sie zuckte ängstlich zusammen. Sam Lupin stand neben ihr. Seine stechenden Blicke tasteten ihr Gesicht ab.
„Hör auf mit dem Spülen“, forderte er trocken. „Das hat bis morgen Zeit. Du mußt sofort weggehen. Ich habe einen Auftrag für dich.“
„Einen Auftrag?“ fragte Cilly Saddler furchtsam. „Was soll ich tun?“
„Ray Mortimer ist im Chinesenhotel“, zischelte Sam Lupin hastig. „Du wirst ihn von dort weglocken, hörst du? Zum Hafen meinetwegen. Im Chinesenhotel selbst können wir nichts mehr riskieren. Die Polizei wird uns sonst am Kragen fassen.“
Cilly Saddler hantierte immer noch mechanisch an ihren Gläsern herum. Ihr Gesicht war bleich und durchsichtig. Ihre Hände zitterten unaufhörlich.
„Eh, hast du nicht gehört?“ fuhr sie Sam Lupin an. „Du sollst das Zeug hier stehen und liegenlassen! Der Chef wird dich beurlauben. Geh jetzt!
Erzähl Ray Mortimer irgendein Märchen. Führ ihn an den Themsekai.“
„Was habt ihr mit ihm vor?“ fragte Cilly Saddler verstört.
Sam Lupin zeigte sein gemeines Grinsen. „Das geht dich nichts an. Du hast nur zu tun, was ich sage. Los, mach dich auf den Weg!“
„Nein“, weigerte sich Cilly Saddler mit gepreßtem Atem. „Das werde ich nicht tun. Ich erniedrige mich nicht zur Gehilfin eines Mörders.“
„Ah?“ fragte Sam Lupin höhnisch. „Welch große Worte. Denke aber doch, daß du gehen wirst. Du steckst schon zu tief mit drin, verstehst du? Du kannst nicht mehr zurück.“
Es stimmte. Cilly Saddler mußte es einsehen. Alles Sträuben führte zu nichts. Sie war gezwungen, Sam Lupin zu gehorchen. Sie band ihre Servierschürze ab und zog in der Garderobe ihren Mantel an.
„Wenn der Vogel ausfliegt, halten wir uns an dich“, raunte ihr Sam Lupin noch zu, bevor sie ging. „Ich werde dich beobachten lassen. Bei dem ersten krummen Schritt bist du an der Reihe.“
Cilly Saddler hatte keine Antwort für diese Drohungen. Sie verließ stillschweigend das Haus. Vom ersten Schritt an wußte sie, daß man sie tatsächlich verfolgte. Sie sah zwei Chinesen hinter sich herschleichen. Die Burschen folgten ihr im gleichen Abstand. Hartnäckig blieben sie auf ihren Fersen.
Um neun Uhr abends erreichte Cilly Saddler das verrufene Chinesenhotel in Cubitt-Town. Sie schlug einen Bogen um den Haupteingang und betrat das Anwesen vom Hinterhof her. Das Rückgebäude zeigte drei helle Fenster. Ray Mortimer befand sich also noch zu Hause. Wahrscheinlich würde er ihr ahnungslos ins Verderben folgen.
Ich kann das nicht tun, dachte sie. Ich kann ihn nicht der Rache der anderen ausliefern. Sie würden ihn erbarmungslos fertigmachen. Ich werde ihn warnen. Ganz gleich, was dann mit mir selbst geschieht. Sie stieg die knarrende Treppe hinauf und klopfte.
Ray Mortimer öffnete ihr. Er blickte sie verwundert an. „Sie?“ fragte er überrascht. „Ich dachte, Sie hätten Dienst in der Sodom Bar?“
Cilly Saddler trat ins Wohnzimmer und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Geistesabwesend schaute sie auf die gepackten Koffer.
„Was wollen Sie hier?“ fragte Ray Mortimer noch einmal.
Cilly Saddler zuckte mit den Schultern. „Vielleicht möchte ich Ihnen einiges erzählen, Mr. Mortimer. Ich weiß mehr, als Sie ahnen. Schließlich wohnte ich monatelang in Ihrer nächsten Nähe. Wir waren früher sehr vertraut miteinander.“
Ray Mortimer erinnerte sich nicht daran. Er wußte nicht, was ihn mit diesem Mädchen früher verbunden hatte. Aber er brannte darauf, etwas von ihr zu erfahren.
„Erzählen Sie!“ befahl er heiser. „Sagen Sie mir aber nur die reine Wahrheit!“
„Ich weiß, wo Sie damals das Kokain verborgen haben“, murmelte Cilly Saddler mit gesenktem Blick. „Das Paket ist zehntausend Pfund wert. Ich würde das Zeug zu Geld machen und noch heute in der Nacht London verlassen. Bitte, hören Sie auf meinen Rat, Mr.
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